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Syrische Sympathien für Saddam Hussein

Während die Führung in Damaskus Truppen an den Golf entsandt hat und Solidarität mit Kuwait übt, unterstützen weite Teile der Bevölkerung den Irak/ Die Unterstützung des Irak bedeutet zugleich Kritik am eigenen Regime  ■ Aus Damaskus Leila Burhani

„Dieser Mann hat uns unsere Ehre wiedergegeben. Er ist ein echter arabischer Führer, der Israel und Amerika die Stirn bietet“, sagt einer der Fahrgäste in dem Sammeltaxi auf dem Weg nach Aleppo. Er spricht von Saddam Hussein. Der Fahrer nickt vor sich hin. Er hat die ganze Zeit so getan, als hätte er dem Gespräch nicht zugehört. Denn offiziell übt sich Syrien in Solidarität mit den Kuwaitis und hat 15.000 Soldaten nach Saudi-Arabien entsandt. Und wenn in Syrien Äußerungen gegen die Regierungspolitik, vor allem in einer so delikaten Angelegenheit, in falsche Ohren geraten, kann man ins Gefängnis wandern. Aleppo ist eine jahrtausendealte Handelsstadt. Der alte Suq ist bis heute erhalten. In den Khanen, den Karawansereien, in denen im Mittelalter Händler aus Mesopotamien, Palästina und Anatolien übernachteten, sind jetzt Werkstätten, Schuhfabriken, Textil- und Seifenmanufakturen untergebracht.

Außer daß das Volk wie immer hinter seinem Präsidenten stehe, erfährt man aus der Landespresse nichts über die Stimmung im Lande zur Golfkrise. Aber so, wie es einen Schwarzmarkt für Waren gibt, gibt es auch einen „Schwarzmarkt“ für alle Arten von guten und schlechten Nachrichten. „Eine Woche nachdem die Blockade gegen den Irak verhängt wurde, verschwanden fast alle Grundnahrungsmittel vom Markt“, berichtet ein Teppichhändler. „Das ist zwar eigentlich nichts Besonderes, Versorgungsengpässe gibt es ja laufend. Das Neue war, daß die Leute diesmal nicht stöhnten. Denn sie wußten, daß die Händler den ganzen Reis, Zucker, Tee und Kartoffeln eingekauft hatten, um diese Waren in den Irak zu schmuggeln.“ Kurze Zeit darauf wurde einer der Händler verhaftet — eine Warnung des Regimes an die Geschäftsleute der Stadt. Aber diesmal wehrten sie sich. Sie bildeten eine Delegation und überreichten den Behörden ein Memorandum, in dem es hieß, dieser Händler habe mit Schmuggel nichts zu tun. „Wir haben ihn auch nicht wegen Schmuggels verhaftet, sondern weil er in den sechziger Jahren Amin el-Hafiz (den ehemaligen Präsidenten und Konkurrenten Hafis el- Assads) unterstützt hat“, war die Antwort des Geheimdienstes.

Bis heute träumen Hotel- und Barbesitzer in Aleppo von den goldenen Zeiten, als ihre Etablissements noch regelmäßig von Geschäftsleuten aus Mossul aufgesucht wurden. Aleppo und Mossul im Nordirak waren eine Handelsregion, durch die Bagdad- Bahn miteinander verbunden. Die jahrhundertealten Handelsbeziehungen wurden abrupt abgebrochen, als das Regime in Damaskus aus Ärger über den in Bagdad herrschenden konkurrierenden Flügel der Baath- Partei 1980 die Grenzen schloß. Davon hat sich die Wirtschaft in Nordsyrien bislang nicht erholt. Die Geschäftsleute in Aleppo hofften zu Beginn der Golfkrise, daß sich die Führung in Damaskus hinter Saddam Hussein stellen und die Grenze wieder geöffnet würde. Die Liberalisierungsmaßnahmen der letzten Jahre haben die Entwicklung der Konsumgüter-Leichtindustrie stimuliert. Der Irak mit seinen über 16 Millionen Einwohnern (Syrien: 12 Mio.), dem Ölreichtum und den traditionellen Handelsbeziehungen wäre ein idealer Absatzmarkt.

Deir Ez-Zor, Provinzhauptstadt am Euphrat im Nordosten Syriens, 150 Kilometer von der irakischen Grenze entfernt. Das syrische Baathregime war noch nie beliebt in Deir Ez-Zor. Die Deiris rümpfen über die alewitischen Bauern von der Küste die Nase. Wie die Kaufleute Aleppos sind sie Sunniten. Nur der Gouverneur, der Geheimdienstchef und der Polizeichef sind Alewiten. Das Regime weiß, daß hier die Loyalitäten gegenüber Bagdad stärker sind als gegenüber Damaskus. Durch „vorbeugende“ Repression versucht die Regierung, der Lage Herr zu bleiben. In den letzten Wochen wurden im Nordosten rund 300 Mitglieder der legalen Oppositionsparteien, vor allem der syrischen Kommunisten, festgenommen, obwohl diese zumindest offiziell oft loyaler als die herrschende Partei selbst sind. Das ist eine Vorwarnung für den Fall, daß diese Parteien ihre Oppositionsrolle ernst nehmen und der Volksstimmung nachgeben sollten.

Überall in Deir Ez-Zor sieht man Autos mit kuwaitischen Nummernschildern. Von hier stammen die meisten Syrer, die in Kuwait arbeiteten. Sie haben Arbeit und Wohnung verloren, trotzdem findet man keinen, der den irakischen Einmarsch nach Kuwait bedauert: „Die Kuwaitis haben es verdient. Sie haben die arabischen Ölgelder verschleudert, und wir wurden schlechter behandelt als die Schwarzen in Südafrika. Sie konnten uns von einem Tag auf den anderen aus dem Land werfen. Wenn uns Verwandte besuchen wollten, bekamen sie kein Visum, und unsere Kinder mußten wir ins Ausland schicken, weil sie in Kuwait nicht studieren durften“, sagt Abu Mohsen, der vor drei Monaten aus Kuwait zurückkam. Jetzt fährt er mit seinem Geländewagen Taxi. Jeder Rückkehrer aus Kuwait bekommt automatisch eine Taxilizenz.

„Die Diskriminierungen trafen den Stolz der Menschen. Hier im arabischen Osten spielt die Ehre eine große Rolle. Die Leute haben keine Angst vor dem Tod, aber vor der Verletzung ihrer Ehre“, sagt Dr. Heider, Professor für Politologie an einer der syrischen Universitäten. „Die meisten Syrer haben sich insgeheim sogar über den irakischen Einmarsch nach Kuwait gefreut. Die Grenzen in unserer Region sind für sie ein vollkommen widersinniges Resultat des Kolonialismus. Und sie wissen, daß die ganzen Golfmonarchien sowieso nur den Interessen der Amerikaner dienen.“

Noch aus zwei anderen Gründen unterstützen die meisten Syrer Saddam Hussein. Da ist einmal die tiefe Wunde, die die Gründung Israels und die Vertreibung der Palästinenser vor mehr als vierzig Jahren im Stolz der Araber hinterlassen haben. Und 1967 besetzten die Israelis einen Teil der von Drusen bewohnten Golanhöhen. Für viele Syrer, vor allem aber für die sunnitische Mehrheit des Landes, ist die Unterstützung Saddam Husseins schließlich auch ein Protest gegen das eigene alewitische Minderheitenregime, das das Land in eine chronische Wirtschaftskrise getrieben hat. Die Arbeit in vielen der staatlichen Betriebe ist völlig zum Erliegen gekommen, Arbeitslosigkeit macht sich breit. Die Inflation beträgt 30 bis 40 Prozent, während die Löhne in den letzten Jahren fast gar nicht mehr erhöht wurden. Viele Angestellte und Beamte müssen zwei oder drei Jobs nachgehen, um ihre Familien ernähren zu können.

Seit ein paar Jahren greifen immer mehr sunnitische Frauen zum Kopftuch. „Das ist kein religiöser Fanatismus, sondern Protest gegen die Regierung“, meint ein Landwirtschaftsingenieur und Christ. Was ihm Angst macht, ist, daß das Regime versuchen könnte, die religiösen Gegensätze zu schüren, um sich dann als Beschützer der bedrohten Minderheiten aufzuspielen. Trotzdem geht es in Syrien nicht in erster Linie um religiöse Differenzen. „Die Regierung geht in die eine Richtung und das Volk in die andere“, sagt Dr. Heider. „Es ist nur eine sehr kleine Clique, die von der Macht profitiert. Die Leute haben absolut kein Vertrauen mehr.“

In den syrischen Nachrichten fällt kein Wort über die ausländische Truppenpräsenz am Golf, und fast jeden Tag gibt es einen Film über den Zionismus — geradezu eine Beschwörungsformel: Wir haben Palästina nicht vergessen. Hafis el- Assad, der sonst nur Reden zum Nationalfeiertag oder zum Tag seiner Machtübernahme hält, rechtfertigte in einer Vierstundenbotschaft an die Nation, warum er Truppen an den Golf schickte, und versprach denn auch, daß er darauf bestehen werde, daß nach der Golfkrise der Konflikt mit Israel gelöst werden müsse.

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