Israelische Anwältin warnt vor Massenvertreibung aus Westbank

■ In einem Telefoninterview berichtet Felicia Langer über die Auswirkungen eines Krieges auf die Palästinenser in den besetzten Gebieten GESPRÄCH

Berlin (taz) — Die zur Zeit in Deutschland lebende israelische Anwältin Felicia Langer hat vom „Palästinensischen Informationszentrum für Menschenrechte“ in Jerusalem einen dringenden Aufruf zum Schutz der Palästinenser bekommen. Dieser Appell, so sagt sie in einem Telefoninterview, berichtet über aus Siedlerkreisen durchgesickerte Hinweise, daß es im Falle eines Krieges zu einer Massenvertreibung von Palästinensern nach Jordanien kommen könnte. Die Peace-Now-Bewegung behauptet, dies werde von Siedlern im Reservedienst der Armee geplant. In einem Telegramm an den Stabschef der israelischen Armee vom 9. Januar erklärt die Bewegung, es könne keinen Zweifel geben, daß sogar eine kleine Gruppe, die solche Pläne entworfen hat, diese ausführen kann, wenn die Aufmerksamkeit der internationalen Öffentlichkeit abgelenkt ist. Schlomo Gazit, Geheimdienstchef von 1974 bis 78, erklärt, die die Palästinenser betreffende militärische Antwort auf einen Krieg sollte sehr harsch ausfallen.

„Ich entnehme den israelischen Medien“, so Felicia Langer, „daß im Kriegsfall alle moralischen und rechtlichen Hemmungen aufgehoben würden. Die Armee müßte alle Straßen für militärischen Bewegungen freihalten, und jeder Versuch von Arabern, dies zu verhindern, werde mit brutaler Gewalt niedergeschlagen. Das könnte mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer neuen Massenvertreibung von Palästinensern gen Osten führen.“

In dem Aufruf wird an die Unterzeichnerstaaten der Genfer Konvention appelliert, ihre Haltung zu überdenken und dringende Maßnahmen zu ergreifen, um Israel von weiteren Verstößen gegen die Konvention abzuhalten.

„Das Ende dieses Aufrufs halte ich für besonders wichtig: ,Wir rufen alle Menschenrechtsorganisationen auf, ihre Präsenz in den besetzten Gebieten zu verstärken und alle ihnen möglichen Maßnahmen zu ergreifen, um den Schutz der Palästinenser zu verbessern.‘ Der Appell ,erinnert die internationale Gemeinschaft an ihre feierlich übernommene Verpflichtung gegenüber dem Leben der Palästinenser. Die Zukunft der Palästinenser hängt von ihrem sofortigen und wirksamen Handeln ab.‘ Mein enger Freund und früherer Mandant Bassam Shaka'a, der ehemalige Bürgermeister von Nablus, hat mir gesagt, daß sich die Menschen in seiner Stadt sehr wohl über die Gefahr einer israelischen Vergeltung im klaren sind. Die internationale Öffentlichkeit solle bei der Beachtung der Gefahr für Israel nicht die Situation in den besetzten Gebieten vergessen. Ich habe versucht, diesen Aufruf zu verbreiten und ihn auch an Mitglieder des Bundestages weitergeleitet, aber ich glaube nicht, daß es sehr erfolgreich war. Ich habe das Gefühl, daß es hier Menschen gibt, die davon nichts hören wollen.“ Volker Michael