: Paris verläßt den Dritten Weg
Paris (taz) — Die Würfel scheinen im Elys'ee-Palast gefallen zu sein. Noch vor seinem einstündigen Gespräch mit Francois Mitterrand hatte sich der UN-Generalsekretär in sibyllinische Formeln gehüllt, danach gab Perez de Cuellar gestern mittag zu verstehen, er halte weitere diplomatische Initiativen für sinnlos: „Ich sehe keinen Grund, mehr Hoffnung zu haben, als ich hatte, bevor ich (nach Bagdad) losgefahren bin.“ Auch Mitterrand habe ihm gegenüber keine französischen „last-minute“-Initiativen angedeutet. Bis gestern vormittag hatten sich Gerüchte über einen Alleingang der Pariser Diplomatie gehalten. Dabei war schon am Wochenende aus dem Quai d'Orsay signalisiert worden, daß die Politik am Golf nunmehr mit anderen Mitteln fortgesetzt werde.
Mitterrand hatte ursprünglich geplant, nach dem gescheiterten Treffen zwischen James Baker und Tarik Asis in Genf mit einer franko-arabischen Initiative wieder Bewegung in die Diplomatie zu bringen. Am letzten Dienstag hatte sich der Generalsekretär des Elys'ee-Palastes, Jean- Louis Bianco,in Algier mit Präsident Chadli Bendjedid getroffen, um die Aussichten für den sogenannten „Sieben-Punkte-Plan“ von Außenminister Roland Dumas zu sondieren. Dumas hatte unter anderem vorgeschlagen, einen irakischen Rückzug aus Kuwait zwar nicht an eine internationale Nahost-Konferenz zu „koppeln“, aber in einem „Zug um Zug“-Prozeß eng aneinander zu binden.
Doch aus der Friedensinitiative der beiden ehemaligen (Kolonial-) Kriegsgegner Algerien und Frankreich sollte nichts werden. Chadli konnte Bianco von keinem Zeichen aus Bagdad berichten, wonach Saddam bereit sei, eine symbolische kleine Geste zu machen, der dann eine weitere Geste der USA folgen könne. Und gleichzeitig mußte Mitterrand in Paris bei seinem Gespräch mit James Baker erfahren, daß die Vereinigten Staaten eine wie auch immer gearteten Eigeninitiative Frankreichs ablehnten. Gegenüber Mitterrand kündigte Baker an, daß Perez de Cuellar noch ein allerletztes mal in den Irak fahren werde. Nach Ansicht von Pariser Diplomaten war dies weit mehr ein politisches Manöver, um eine Reise des französischen Außenministers nach Bagdad zu verhindern, als eine realistische Friedensoption. Innerhalb der EG hatten neben Außenminister Genscher lediglich die Mittelmeerstaaten Italien, Portugal und Spanien Sympathien für Mitterrands dritten Weg gezeigt. Die atlantischen EG-Mitglieder Großbritannien, Dänemark und Belgien dagegen hatten sich scharf gegen einen Sonderweg Frankreichs ausgesprochen. Ohne die unbedingte Unterstützung der EG-Länder und ohne das erhoffte Signal aus Bagdad schien Mitterrand am Mittwoch seinem eigenen Plan keine Chance mehr zu geben: In einer Pressekonferenz erklärte er, er werde sein Land in den Krieg führen, falls bis zum 15. Januar keine diplomatische Lösung gefunden würde. Damit waren die Würfel gefallen. Frankreich wird sich jetzt, so vermuten Beobachter, ohne Wenn und Aber an den Kämpfen beteiligen, de facto unter amerikanischem Kommando, denn niemand zweifelt daran, daß allein das Pentagon über den Charakter dieses Krieges bestimmen wird — ohne zeitraubende Konsultationen der französischen Militärs. Wenige Monate nach den Jubelfeiern zu Ehren de Gaulles würde das theoretisch so unabhängige Frankreich faktisch zum Befehlsempfänger der US-Militärs. Doch Mitterrand glaubt jetzt, daß sein land nur durch ein unbedingtes und frühes Mitkämpfen in der Anti-Irak-Koalition später eine nennenswerte Rolle bei der Architektur einer neuen Ordnung im Nahen Osten — bzw. in dem, was davon noch übrig bleiben wird — spielen können wird. Alexander Smolczyk
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