: Angst vor einem Putsch in Rußland
■ Sowjetische Militärs besetzten Polizeischule in Riga/Lettland/ Prosowjetische Demonstration auch in Estland/ Putschgerüchte gegen die russische Föderation/ Alexander Bessmertnych neuer sowjetischer Außenminister
Vilnius/Riga/Berlin (dpa/ap/taz) — Nach den Angriffen sowjetischer Militärs in Litauen und Lettland schließt man in Moskau einen Putschversuch auch in Rußland nicht mehr aus.
In der Nacht zum Dienstag hatte eine Sondereinheit des sowjetischen Innenministeriums erstmals auch in Lettland Gewalt angewandt und die Polizeischule von Riga besetzt. Auf einer Kundgebung ebenfalls prosowjetischer Kräfte in der estnischen Hauptstadt Tallinn forderten die etwa 10.000 Demonstranten das dortige Parlament ultimativ auf, sich selbst binnen 24 Stunden aufzulösen. Wenn dies nicht geschehe, werde der „Kampf mit anderen Methoden fortgesetzt“. In Riga, wo am Dienstag erstmals ein prosowjetisches „Komitee zur gesellschaftlichen Rettung von ganz Lettland“ eine Demonstration veranstaltete, waren das Parlament und andere wichtige Gebäude durch Barrikaden abgeriegelt, mit denen ein möglicher Angriff abgewehrt werden sollte.
Die Regierung von Lettland wandte sich am Montag abend mit einem Appell an die Weltöffentlichkeit. Darin wird von der Gefahr eines Staatsstreichs innerhalb von 48 Stunden gesprochen.
Auch in Rußland wird zunehmend über die Gefahr eines Putsches gegen die demokratisch gewählte Führung unter dem Parlamentsvorsitzenden Boris Jelzin berichtet. Der Rundfunksender Majak veröffentlichte eine Ansprache Jelzins, in der er eine solche Wendung nicht mehr ausschloß. Vor dem Sportpalast von Vilnius, in dem die Leichen von zehn Opfern der sowjetischen Gewaltanwendung aufgebahrt sind, bildete sich am Dienstag eine kilometerlange Schlange von Trauernden. Heute werden die Toten als „Nationalhelden“ beigesetzt.
In Moskau wurde gestern der langjährige sowjetische Botschafter in Washington, Alexander Bessmertnych, zum neuen Außenminister gewählt. Er gilt als Befürworter von Glasnost und Perestroika.
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