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Ein Eiertanz der Intellektuellen

■ »Entlaufene Bürger · Kurt Tucholsky und die Seinen« — eine Ausstellung des Deutschen Literaturachivs Marbach, nun auch in Berlin zu sehen

Unsere tägliche Selbsttäuschung gib uns heute!« Wilhelm Raabes Aphorismus hat Tucholsky gemocht. Gerne hat er im Stil dieser Ironie die Doppelmoral seines Zeitalters karikiert, auch um sich selbst gelegentlich über die Widrigkeiten seiner Zeit hinwegzutäuschen.

Die Doppeldeutigkeit dieser Spruchweisheit hat sich seit der ersten Eröffnung der Ausstellung im letzten Jahr in Marbach auf vielfältige Art bewahrheitet. Jochen Meyer, Angestellter des dortigen Deutschen Literaturarchivs, hatte den Versuch einer Kritik der modischen Tucholsky-Begeisterung unternommen und ist dabei so sehr gescheitert, daß Akademiepräsident Walter Jens zur Eröffnung der Ausstellung in Berlin festhalten mußte, die vorgeführte Konzeption sei »interessant, aber nicht authentisch«. Schon im letzten Jahr waren die Besprechungen in den Feuilletons fast ausschließlich negativ ausgefallen, doch zu diesem Zeitpunkt existierte bereits ein Vertrag mit der Akademie der Künste, in dem diese sich im Vertrauen auf gute Erfahrungen mit Marbacher Ausstellungen schon vor Fertigstellung der fragwürdigen Schau zur Übernahme verpflichtet hatte. Zu allem Überfluß wird die Ausstellung später auch noch in Leipzig zu sehen sein.

Worum geht es? Meyer versucht sich an einem Steckenpferd des wertkonservativen Liberalismus: dem Kulturpessimismus. Der Untergang des Kaiserreiches ist für dieses Denken die Katastrophe schlechthin, ein Drama, an dem auch Tucholsky angeblich laboriert haben soll. Indiz dafür ist dem Literaturwissenschaftler — wie im Katalog nachzulesen — das Wort »Die schöne alte Zeit ist tot«, ein Satz, der nicht einmal von Tucholsky selbst stammt. Vielmehr hat dieser ihn sich in einer Postkarte des 'Simplizissimus‘-Redakteurs Hans Ernst Blaich rot angestrichen. Und zwar sicher nicht einfach nur deshalb, weil er sich ihn zu eigen machen wollte. Tucholsky war vor den Irrtümern einer Auseinandersetzung mit derartig halbgenialen Weisheiten zwar keineswegs sicher, daraus aber die Legitimation abzuleiten, eine solche Beziehung als einen der roten Fäden seiner Biographie hervorzuheben und Blaich in der Ausstellung immer wieder als Bezugspunkt zu zeigen, ist nicht gerechtfertigt.

Meyer verfolgt keine biographische oder zeitgeschichtliche Rekonstruktion, sondern stellt unterschiedlichste Materialien in thematische Kontexte. Die Vitrinen geben Einblick jeweils in ein spezifisches Detail. Die Bezugspersonen Tucholskys werden in Photographien und Büchern, die in Tucholskys Besitz waren, vorgestellt und in den Zusammenhang seiner Briefkorrespondenz und journalistischen Veröffentlichungen gestellt. Schwerpunkte bilden die literarischen Einflüsse und die publizistischen Streitigkeiten. Fast jedes Motiv aber wird in das Licht einer eher pessimistischen Grundstimmung gerückt. So erscheint alles hoffnungslos melancholisch, die letzte Vitrine kann nichts anderes behandeln als »Freund Hein«.

Eine kritische Würdigung Tucholskys hat Meyer damit aber keineswegs im Sinn. An »seinem« Autor liebt er gerade die skeptischen Töne. Die wirklichen Verfehlungen Tucholskys, etwa sein Verhalten im Ersten Weltkrieg, werden auf eigenartige Weise ins Positive gewendet. Der spätere Linksintellektuelle verfaßte als Soldat Werbepoesie für Kriegsanleihen und wurde dafür militärisch befördert. Als der wilhelminische Staat zusammenbricht, findet man ihn nicht nur auf der Seite der USPD und der 'Weltbühne‘, sondern auch als Autor des Ullstein-Verlages, in dessen Interesse er sich bemüht, Luxemburg, Liebknecht und Eisner zu verunglimpfen. Meyer aber ist dieses Verhalten aus der Enttäuschung Tucholskys über den Zusammenbruch der Vorkriegswelt mehr als nur verständlich.

Es wird ihm geradezu als Verdienst angerechnet, skeptisch geworden zu sein und sich fernerhin aller Eskapaden rechter und linker Politik zu enthalten. Möglich sei ihm dieser Standpunkt durch ein Festhalten an einem bürgerlichen Bildungsbegriff, dessen Gewährsmänner Meyer in den ersten Vitrinen vorführt: Wilhelm Raabe, Christian Wagner, Arthur Schopenhauer und Gottfried Keller — genügend Referenzen, um Tucholsky in den Kreis der Klassiker zu erheben. Im Kontext seiner Zeit wirkt er dagegen wie ein Heimatvertriebener, der sich mit allem und jedem beschäftigte, letztlich aber nirgendwo zu orten ist als im Bewußtsein seiner Unzeitgemäßheit, die ihn als »entlaufenen Bürger« charakterisiert und ihn von den unzufriedenen faschistoiden Kleinbürgern und Literaten der Boheme, von Ludwig Thoma und Hermann Löns wie von Hitler und Goebbels kaum unterscheidbar macht. Die einzige Bewußtheit, die Meyer ihm noch läßt, ist es, in diesen schlechten Verhältnissen sauber und rein zu bleiben. Dies geht so weit, daß schließlich in einer Vitrine die Badewanne zur Allegorie des intellektuellen Daseins Tucholskys wird.

Die entscheidenden Fälschungen des Marbacher Quellendeuters liegen ansonsten aber weniger in den ausgestellten Details als im Gesamtkonzept der Präsentation. Tucholsky zu einem Saubermann und skeptischen Intellektuellen zu entpolitisieren bedeutet, seine eigentliche Rolle in den Hintergrund stellen, den journalistischen Tageskampf. In ihm agitierte er vor allem in der radikal linken Rhetorik der 'Weltbühne‘: »Wir stehen vor einem Deutschland voll unerhörter Korruption, voll Schiebern und Schleichern [...], von denen jeder das Recht in Anspruch nimmt, für seine schwarze Person von der Revolution unangetastet zu bleiben. Wir meinen aber ihn und gerade ihn und nur ihn.« Seine Artikel zeichneten sich weder durch hintergründige politische Analysen noch durch literarische Form und Stoffanleihen aus. Als rhetorische Kritiken unterscheiden sie sich so von den politischen Theoriekonzepten linker Denker und erst recht vom Bildungsbürgertum. Diese Diskrepanzen arbeitet aber nicht die Ausstellung heraus, sie sind vielmehr von Karl Kraus bekannt gemacht worden. Für ihn verfügte Tucholsky weder über die Mittel künstlerischen Ausdrucks, noch hat er eine politisch notwendige Entschiedenheit an den Tag gelegt. Kraus beschreibt seinen Kontrahenten als fragwürdige »fünfdeutige Gestalt« in einem »Geistesleben, dessen Ausdrucksarmut die Bewunderung für vifen Ungeist, für das Bewegliche und Spritzige erklärlich macht«. Für den derartig Angeklagten aber war anderes wichtiger. Der Grund für sein Zusammenarbeiten mit unterschiedlichen ideologischen Publikationsorganen und sein stilistisches Schwanken zwischen Heimatgedicht und Fontane-Prosa war sein Wunsch, politisch nicht wirkungslos zu bleiben. Deshalb hat er populäre Literatur geschrieben und sein kritisches Bewußtsein von der Presse zurückgestellt.

Meyer aber, der sich auf Kraus' Kritik erst gar nicht einläßt, kann zu keiner derartigen kritischen Darstellung von Tucholskys Engagement kommen. Gerade dieses aber steht für einen politischen Journalismus, den Karl Kraus immerhin ernst nahm, der sich aber in der heutigen Presse kaum mehr findet. Thomas Schröder

Die Ausstellung ist noch bis zum 24.2. (Do. bis Mo. von 14 bis 18 Uhr) in der Archivdependance der Akademie der Künste, Spandauer Damm 19 zu sehen.

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