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Die Macht des Wortes

■ „Cyrano de Bergerac“ — mit Gerard Depardieu

Nur im Schatten ist er groß. Zu erkennen gibt er sich nicht, aber zu hören ist er — und wie. Am Anfang ist seine Stimme zu hören, und die ist mächtig. Dann, zögernd, widerwillig, schält sich eine Gestalt aus dem Dunkel der Theaterloge. Cyrano de Bergerac hat gesprochen, mit vernichtend scharfen Worten: Die Theateraufführung platzt, und der korpulente Mime, dem der rhetorische Angriff galt, verschwindet in den Kulissen.

Und doch ist der Dicke der Sieger, denn er steht oben im Licht, sein Widersacher Cyrano dagegen, wortgewaltig zwar und ungestüm, im Dunkel. Ihm haftet ein Makel an, der ihn in ein Schattendasein zwingt. Eine viel zu große Nase verunstaltet sein Gesicht. Lachhaft lang, ein gigantischer Riechkolben, ein Monument der Häßlichkeit — der Worte, das Organ zu umschreiben, gibt es viele, und Cyrano findet sie. Aber nur ihm ist Spott erlaubt, jeder andere, der seine Nase auch nur erwähnt, muß Cyranos Degen fürchten.

Der Edelmann mit der spitzen Zunge und einer ebensolchen Nase lebt im Halbdunkel, und Regisseur Jean-Paul Rappeneau läßt ihn nicht ans Licht. Schummrig ist es beim ersten Auftritt im Theater, stockfinster bleibt die Nacht, als Cyrano — einer gegen hundert — um des Ruhmes willen kämpft. Und auch sein Tod ist wie ein Zerfließen im Grau des Schattens, der er immer war. Die Kamera führt zurück, hebt sich hinweg in die Bäume und blickt auf ein Bündel im Laub, das sich kaum abzeichnet von der Umgebung, nur das Gesicht ist ein heller, bleicher Fleck.

Cyrano de Bergerac von Edmond Rostand gilt als eines der meistgespielten Stücke der Theatergeschichte. Nicht unbedingt ein Filmstoff, eher eine barocke Burleske — arg angestaubt und volkstümlich. Zudem ist das Stück in Versen abgefaßt, wodurch die Verfilmung sicherlich nicht erleichtert wurde. Was hat man sich vorzustellen? Einen monumentalen Kostümfilm mit Mantel-und-Degen-Akrobatik, in hölzernen Alexandrinern gesetzt? Keineswegs.

Vielleicht ist es jenem ungetrübten französischen Selbstbewußtsein gegenüber der eigenen Geschichte zu verdanken, daß sich der Einsatz von hundert Millionen Francs — die bisher größte Summe für einen französischen Film — gelohnt hat. Das Wagnis gelang, Rappeneau macht großes Kino mit genau den Essenzen, die sonst zum Erstickungstod in der Opulenz der Ausstattung führen.

Obwohl der Film von der sprachlichen Gewandtheit lebt, die Gerard Depardieu in der Titelrolle vollkommen entfesselt vorführt, ist Cyrano de Bergerac nicht nur ein Sprachkunstwerk, sondern ein wirklicher Film. Es scheint nur französischen Regisseuren zu gelingen, die Sprache auf der Leinwand so dominieren zu lassen, daß die Bilder dennoch nicht wie eine rein optische Untermalung, wie bloße Kulisse wirken.

Cyrano de Bergerac — darin dem Kinoerfolg Liaisons Dangereuses nicht unähnlich — handelt davon, wie sehr doch die Liebe sprachlicher Natur ist. Das Wort als die größte Lust, der Sprachschatz als die Seele der Liebe, die schöpferische Phantasie, die sich vom Wirklichen befruchten läßt und dann eigene Blüten treibt — das ist das Thema des Films.

Cyrano liebt seine wunderschöne Cousine Roxane (Anne Brochet), doch in der Angst um den körperlichen Makel traut er sich nicht, seine Gefühle ihr gegenüber einzugestehen. Er kann die Angebetete nur über Umwege lieben: Sie, die den hübschen, aber dummen Jüngling Christian zu vergöttern glaubt, ist eigentlich nur in den Klang schöner Worte vernarrt. Indem sie von Christian Poesie fordert, er aber nur profane Liebesbekenntnisse zustande bringt, gibt sie Cyrano die Möglichkeit, sein Werben um Roxanes Gunst indirekt fortzusetzen. Der Häßliche borgt dem Schönen seine Wortgewalt, schreibt dem ungeschickten Liebhaber stolze Verse und verhilft ihm so zur ersehnten Umarmung. Er selbst steht wieder einmal dort, wo er immer stand, während andere die Früchte ernten, die er zum Reifen gebracht hat — im Schatten.

Doch der erflehte Kuß beweist nicht mehr, als daß der Vollzug der Liebe fad, deren ungestilltes Verlangen aber die wirkliche Passion ist. Cyranos Schicksal, immer der zweite zu sein, ist eine glückliche Fügung. Wie jämmerlich wäre es, wenn das Unerreichbare plötzlich näherrücken würde, oder Cyrano gar ans Ziel seiner Träume käme. Doch die Einsicht, daß die Liebe in ihrer Unmöglichkeit viel intensiver sein kann, hilft nicht gegen Wut und Schmerz darüber, daß jeder Tölpel eher zum Zuge kommt. Das ist das Geheimnis der Spannung, die den Film über die atemberaubende und kolossale Inszenierung noch hinaushebt. Bis zuletzt bangt der Zuschauer voller Mitleid für den armen Cyrano, ob er die Scham um seine völlig unerhebliche Entstellung der Nase überwinden kann und das Wort siegen läßt über das Bild. Dann muß auch der Film zu Ende sein, denn wo die sorgfältig austarierte Balance zwischen Sprache und Bildhaftigkeit zerbricht, gibt es nichts mehr zu sehen. Wer möchte schon zwei Liebenden dabei zuschauen, die wissen, daß sie einander lieben? Christof Boy

Jean-Paul Rappeneau: Cyrano de Bergerac. Mit Gerard Depardieu, Anne Brochet, Jacques Weber u.a., Frankreich 1990.

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