: Zukunftsfragen ausgewichen
■ Die Bonner Koalition hat keine Weichen für die Zukunft gestellt
Wohl nur der Golfkrise ist zu verdanken, daß das Geschacher der Koalitionsverhandlungen nicht noch länger andauerte, sondern den Unterhändlern schwante, es sei nicht der rechte Zeitpunkt für derlei Gerangel. Den Charakter der Verhandlungen änderte das nicht. Es ist bezeichnend, daß die sogenannten Sachgespräche kurz vor dem Ende in der Hoffnung unterbrochen wurden, habe die FDP erst ihre Minister bestimmt, lösten sich die Sachprobleme von alleine: Wenn nämlich — wie dann beschlossen — die FDP das Bauressort verwaltet, muß die CSU drastische Mieterhöhungen nicht mehr öffentlich verantworten.
Vor allem aber hat die Regierungsbildung den Eindruck hinterlassen, als betrachte das Regierungslager das neue Gesamtdeutschland nur als eine aufgeblähte Bundesrepublik. Der verbale Bezug auf die Probleme der DDR ändert nichts daran, daß nicht einmal der Versuch gemacht wurde, in neuen Strukturen und gesellschaftlichen Herausforderungen zu denken. Insbesondere das von der FDP vehement geforderte Niedrigsteuergebiet Ex- DDR war vorrangig ein Tribut an die eigene West- Klientel, der die Vermögenssteuerentlastung und die Unternehmenssteuerreform weit mehr zugute kommen wird als den arbeitsplatzsuchenden Ex- DDRlern. Das einfallslose „Weiter so!“ der alt- neuen Bonner Koalitionspartner hat dafür gesorgt, daß die bisherigen Fehlentwicklungen fortgesetzt werden, statt deutlich zu machen, daß diese zerstörerische Lebensweise an ihre Grenzen gekommen ist und radikale Neuorientierungen nötig sind. Wohlstand wird in Zukunft andere Inhalte haben müssen; das jetzige Modell wird schon für das größer gewordene Deutschland scheitern. Stattdessen aber wurde mit unsinnigen Subventionen und Steuergeschenken die alte Klientel besänftigt und zu Umwegfinanzierungen wie der Telefonsondersteuer gegriffen.
Im Bonner Koalitionsstreit ist freilich nicht die Beteiligung der Bevölkerung an den Kosten der Einheit das Problem, sondern die Gewichtung, die gerade die geringverdienenden Bevölkerungskreise überdurchschnittlich belastet. Dieses additive, alte Linien fortschreibende Politikverständnis ist nicht geeignet, das neue Deutschland auf die globalen Konflikte einzustellen, denen sich auch die Wohlstandsoase Deutschland nicht entziehen werden kann. Nicht einmal skandalöse Altlasten wie der „Jäger 90“ oder das Milliardengrab „Schneller Brüter“ konnte die Koalition aus dem Weg räumen. Die vernünftigen Ansätze in der Familienpolitik wie beim Erziehungsurlaub, beim Recht auf Kindergartenplätze oder im Umweltbereich mit der CO2-Abgabe können dies nicht aufwiegen — zumal noch völlig offen ist, wie diese umgesetzt werden. Hinzu kommt, daß sich die FDP mit ihrem Klassenkampf von oben weitgehend durchgesetzt hat. Ob beim Freibetrag für Hausangestellte oder bei der Vermögenssteuer; auch die Übernahme des Bauministeriums läßt für die Mieter schlimmes erwarten. So hat die Koalition zwar erheblichen Konfliktstoff für die kommenden Jahre angehäuft, für die Zukunft aber ist die Bundesregierung nicht gerüstet. Gerd Nowakowski
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