: Erste Warnstreiks gegen den Krieg
Aufrufe und Aktionen der Gewerkschaften/ Stuttgarter IG Metall fordert zu Betriebsversammlungen auf/ Rückendeckung für Friedensaktivitäten im Betrieb ■ Von Martin Kempe
Berlin (taz) — Am Dienstag morgen trug sich bei Werner & Pfleiderer, einem Backofenhersteller im Stuttgarter Raum, Ungewöhnliches zu. Kerzenschein breitete sich im Betrieb aus. Wie in der Osternachtsmesse wanderte das Licht von einem zum anderen, bis es im ganzen Betrieb leuchtete — als Zeichen für den Protest gegen den drohenden Krieg am Golf. Anders die rund 400 Beschäftigte von Bosch in Leinfelden: Für eine halbe Stunde legten sie am Dienstag ihre Arbeit nieder. „Kein Blut für Öl“ hieß es auf ihren Plakaten. 80.000 legten am Mittwoch in Düsseldorf und Hannover für einige Minuten die Arbeit nieder. Der Protest gegen den Krieg hat die Gewerkschaften und ihre Mitglieder erfaßt.
Der DGB-Bundesvorstand hat gestern alle Mitglieder dazu aufgerufen, sich am 26. Januar an einer Großkundgebung in Bonn zu beteiligen. Einen Tag vorher will der DGB um 12 Uhr, entsprechend einem Vorschlag der IG Metall, zusammen mit anderen Gruppen zu „fünf Schweigeminuten für den Frieden“ aufrufen. In der ganzen Bundesrepublik sollen die Arbeit und alle öffentlichen Aktivitäten für kurze Zeit ruhen. Ein „feministisches Aktionsbündnis gegen den Krieg“, das am Mittwoch das Bonner DGB-Büro besetzte, will mehr: „Ein Generalstreik kann einen Krieg verhindern!!!“ proklamieren die Frauen auf einem Flugblatt. Sie fordern den DGB auf, zu diesem Zweck einen außerordentlichen Bundeskongreß einzuberufen. Der Kreisfrauenausschuß der ÖTV in Köln hat sich dieser Forderung angeschlossen.
Der Stuttgarter IGM-Bezirk ist etwas bescheidener, dafür aber möglicherweise wirksamer. In einem Beschluß der großen Tarifkommission der IGM Baden-Württemberg werden „alle Kolleginnen und Kollegen“ aufgerufen: „Entwickelt und unterstützt betriebliche und örtliche Aktionen.“ In Vertrauensleutesitzungen soll darüber beraten werden. Der Golfkonflikt soll auch zum Gegenstand von Betriebsversammlungen gemacht werden — bei den nicht wenigen Betrieben der Region, die in illegale Rüstungslieferungen in den Irak verstrickt sind, ein durchaus brisantes Unterfangen.
Abgesehen von demonstrativen Aktionen in der Öffentlichkeit und im Betrieb haben mehrere Gewerkschaften gegenüber der taz zugesichert, daß Mitglieder, die aus Gewissensgründen die Arbeit an Rüstungsgütern verweigern oder Informationen aus ihrem Betrieb über völkerrechtswidrige Rüstungsexporte weitergeben, mit politischer und juristischer Rückendeckung durch ihre Gewerkschaft rechnen können. „Die IG Chemie würde einen solchen Menschen nicht im Regen stehenlassen“, erklärte IG-Chemie-Sprecher Bernd Leipfried gegenüber der taz. Die IG Metall geht davon aus, daß Arbeitsverweigerung aus Gewissensgründen von der Arbeitsrechtsprechung gedeckt sind. IGM-Mitglieder, die von illegalen Praktiken in ihren Betrieben erfahren, sollen sich mit den brisanten Informationen zunächst an die Gewerkschaft wenden, um individuelle Risiken möglichst auszuschließen. Denn ein „Verrat von Betriebsgeheimnissen“ wird von der Rechtsprechung selbst dann nicht gedeckt, wenn es sich um illegale und verbrecherische Aktivitäten etwa beim Export von Rüstungsgütern handelt. Trotz des hohen persönlichen Risikos wollen die Gewerkschaften ihre Mitglieder ermutigen, im Zweifelsfall ihrem Gewissen zu folgen.
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