: Der Tag der Demonstranten
■ Eine garantiert unvollständige Liste der Demonstrationen, Mahnwachen, Gebete, Blockaden, studentischen Streiks und Arbeitsniederlegungen
Berlin (taz) — Die Diplomaten hatten nichts mehr zu sagen, die Militärs hielten gestern noch still, so wurde es in aller Welt ein Tag der DemonstrantInnen. In der Bundesrepublik setzten sich die Schüler und Schülerinnen an die Spitze der Bewegung. Über 25.000 zogen in Berlin über den Ku'damm. An vielen Schulen fanden Vollversammlungen statt, Straßenkreuzungen wurden blockiert und Mahnwachen abgehalten — unter anderem vor dem Amerikahaus und dem US-amerikanischen Konsulat, das US-Hauptquartier wurde von rund 600 Menschen blockiert. Ein Sprengstoffanschlag auf die Siegessäule — gewidmet der „Victoria“ 1870/71 — richtete auf deren oberster Plattform nur wenig Schaden an. Die Polizei schreibt es, mit Berufung auf eine Bekennerschreiben, den Revolutionären Zellen zu.
In Hamburg wurde ebenfalls das US-Konsulat Ziel einer Mahnwache von Friedensgruppen. In Stuttgart blockierten rund 80 junge Leute das Hauptquartier der US-Streitkräfte in Europa, sangen um Punkt 6 Uhr „We shall overcome“ und ließen sich von Polizisten wegtragen. Ebenfalls symbolisch blockiert: der zentrale US-Militärflughafen Frankfurt/ Main. In Hannover gingen gestern nachmittag StudentInnen und SchülerInnen auf die Straße, zur Kundgebung hatte auch der DGB aufgerufen. Dessen Kreisbüro in Bonn wurde gestern selbst Ziel einer Besetzung durch das „Feministische Aktionsbündnis gegen den Krieg“. Seine Forderung: Der DGB soll zum Generalstreik aufrufen. Statt dessen rief Vorsitzender Meyer für übernächsten Samstag (sic!) zu einer Großdemonstration in Bonn auf. In Thüringen waren gestern die Kirchen mit ihren Friedensgebeten und Mahnwachen so voll wie zuletzt zur Zeit der Wende.
In den alten Bundesländern wurden etliche Universitäten bestreikt, so in Bielefeld und Oldenburg, wo StudentInnen auch den örtlichen Fliegerhorst blockierten. In Saarbrücken war Oskar Lafontaine Hauptredner auf einer Großkundgebung („Für eine friedliche Welt“). Auch kurzzeitige Arbeitsniederlegungen wurden gemeldet, so bei der Firma Bosch/Elektrowerkzeuge in Leinfelden/Echterdingen bei Stuttgart, wo rund 350 Beschäftigte eine Resolution verabschiedeten. In Emden drangen etwa 100 DemonstrantInnen auf das nicht gesperrte Gelände einer „ABC-Abwehreinheit“ der Bundeswehr vor. Die Bundeswehr beklagt zwar, es seien Steine geflogen, als man die Eindringlinge abgedrängt habe. Doch mit Gesprächen und Tee aus der Bundeswehrkantine habe man „eine Eskalation verhindern können“. In Nordrhein- Westfalen demonstrierten viele Polizisten auf ihre Weise: Kurz vor 6Uhr stellten sie für ein fünfminütiges Schweigen ihre Streifenwagen ab. In Kiel saßen sie alle in einem Boot: Hier hatten Landesregierung, Parlament, Kirchen, Gewerkschaften und Unternehmerverbände für 12Uhr mittags zu einer Schweigeminute aufgerufen. Andere gedachten der kritischen Lage durch Verzicht: Fastnachtsvereine sagten ihre Büttenreden ab, die bayerische Staatsregierung ihre beiden Neujahrsempfänge und der Bayerische Rundfunk sämtliche Funkbälle.
Von New York bis Djakarta
Mehr als tausend Menschen versuchten schon am Dienstag, den Haupteingang der New Yorker UNO-Zentrale zu stürmen — vergeblich (zu weiteren Aktionen in den USA siehe Seite 4). In Brüssel setzten sich Europaparlamentarier zu einer Mahnwache vor das Nato-Hauptquartier. In London gab es Zusammenstöße zwischen der Polizei und 5.000 KriegsgegnerInnen, 60 Menschen wurden festgenommen. In Kopenhagen und Madrid fanden schon am Dienstag abend Großdemonstrationen statt. Aus Lateinamerika wurden Demonstrationen aus Caracas, Montevideo, Quito, Mexiko- Stadt, Lima und Managua gemeldet, gegen die US-Botschaft in Panama-Stadt warfen Unbekannte eine Sprengladung aus einem fahrenden Auto. In mehrheitlich islamischen Staaten Ostasiens, vor allem in vielen Städten Pakistans und Indonesiens, demonstrierten Tausende gegen die USA und zum Teil für Saddam Hussein. Etwa 70.000 forderten ihn in Sanaa, der jemenitischen Hauptstadt, auf, „Tel Aviv zu befreien“. Große proirakische Demonstrationen auch in Tunesien und Marokko.
Diplomatie am Ende
Der UNO-Sicherheitsrat hatte sich in der Nacht zum Mittwoch nicht auf ein letztes Signal an Hussein einigen können. Weder Frankreichs Sechspunkteplan, der die Kuwait- mit der Palästinafrage verbinden wollte, fand eine Mehrheit, noch der britische Antrag, Hussein einfach noch einmal zum Rückzug aufzufordern. Generalsekretär Perez de Cuellar blieb nur übrig, dem irakischen Diktator zum wiederholten Mal eine Nichtangriffsgarantie für den Fall seines Zurückweichens zu geben. Der Papst, dem in der taz angetragen worden war, einen Angriff auf Bagdad mit seiner heiligen Präsenz zu verhindern, ging nicht darauf ein und schrieb statt dessen Briefe an Hussein (mit der Bitte um eine „großzügige Geste“) und an Bush. Darin heißt es, der Krieg sei „absolut kein angemessenes Mittel, um internationale Probleme zu lösen“.
Bundeskanzler Kohl bangt und hofft („elementare Kriegsgefahr“, „jede denkbare Chance für den Frieden wahrnehmen“). Die Palästinafrage habe zwar nichts mit dem Überfall Iraks auf Kuwait zu tun, früher oder später aber werde es zu einer internationalen Konferenz kommen. Der außenpolitische Experte der FDP, Olaf Feldmann, bedauerte, daß Mitterrands Vorschlag im Sicherheitsrat an den Stimmen Großbritanniens und der USA gescheitert war.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen