: Zum Reinheitsgebot der deutschen Pornographie
■ Ein kurzer Führer durch die Praxis & diese Seiten
Am Donnerstag vergangener Woche veröffentlichte das Bundesverfassungsgericht seine Ansicht, Kunst und Pornographie seien von nun an nicht mehr als grundsätzlich unvereinbar miteinander zu betrachten: „Kunst und Pornographie schließen sich — wie der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung zu Henry Millers Opus Pistorum zutreffend erkannt hat (BGH, NJW 1990, S. 3026) — nicht aus.“ Zudem rügte es die bisher unermüdlich tätige Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften in ihrer bisherigen Praxis in der 35seitigen Urteilsschrift: „Der Gesetzgeber habe die Zusammensetzung der Bundesprüfstelle, namentlich die Berufung der sogenannten Gruppenbeisitzer (es entscheiden drei, in der erweiterten Fassung zwölf Herrschaften den Einzelfall, d.R.), in verfassungsrechtlich unzureichender Weise geregelt... Insgesamt lasse das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften der Exekutive...freie Hand und öffne damit der auch tatsächlich willkürlichen Ernennungspraxis Tür und Tor.“
Damit es irgendwie weitergeht, wird der Bundesprüfstelle gestattet, ihr heilsames Wirken fortzusetzen: „Bis zu einer Neuregelung, längstens bis zum Jahresende 1994, sind diese Mängel jedoch hinzunehmen.“ Empfohlen wird die sensible Prüfung des Einzelfalls, und dazu wollen wir beitragen.
Um unserer geneigten Leserschaft einen repräsentativen Einblick in die bisherige Tätigkeit der BPS unter Leitung von Herrn Stefen zu geben und diesem Amt, das sieben hauptamtliche Mitarbeiter beschäftigt, die Arbeit am Einzelfall zu ermöglichen, drucken wir auf diesen Seiten:
a) einen indizierten Text („Heilung“, Anonym);
b) einen (noch) nicht indizierten Text, Veröffentlichung demnächst (aus „Justine und Juliette, 2“, Marquis de Sade. Der erste Band wurde nicht indiziert.);
c) einen nicht (mehr) indizierten Text (aus „Josephine Mutzenbacher“, Aufhebung des Urteils im November 1990);
d) einen (noch) nicht indizierten Text von einem Mann, der für diesen Anlaß geschrieben wurde („Der Baum“ von Saturnino Balcone);
e) einen (noch) nicht indizierten Text von einer Frau („Mandelauge“ von Natascha Rossmann), dessen verlegerische Identifizierung wir der geschätzten BPS überlassen.
Zur gängigen Praxis merken wir an: Eine Indizierung bedeutet nicht, daß der Text käuflich nicht zu erwerben wäre. Im Gegensatz zum Produktions- und Verbreitungsverbot für „harte Pornographie“ (Gewalttätigkeit, sexueller Mißbrauch von Kindern oder sexuelle Handlungen von Menschen mit Tieren, §184 Abs.3 StGB) bedeutet eine Indizierung seit 1975: „Einfache Pornographie darf Erwachsenen zugänglich gemacht werden.“ (Stefen, BPS-Report 4/1989, S.37) Es gilt lediglich das Werbeverbot, was praktisch bedeutet: Das indizierte Buch „...und mein Verlangen ist grenzenlos“ beispielsweise kann im Handel auf Nachfrage erworben werden, ohne daß die LeserIn sich strafbar macht. Es darf allerdings nicht offen ausliegen, und es darf in den Werbemitteln des Verlages (also auch dem Gesamtprospekt) nicht angezeigt werden. Dies gilt ebenso für die Titel:
„Feuerwoge“ von Uta Nord, Ullstein Tb Nr. 22135;
„Im Abendkleid“ von Brenda Looligan, Ullstein Tb Nr. 22296;
„Lehr mich die Liebe!“ (Anonym), Rowohlt Tb Nr. 12411;
„Pleasures — Wenn Frauen lieben“ von Odette, Ullstein Tb Nr. 34468;
„Was für ein Tag zum Träumen“ von Jean Lotter, Rowohlt Tb Nr. 12419
sowie viele weitere aktuelle Titel wie „Lüstern auf dem Bärenfell“, „Die Kaufhaus-Nummer“, „Scharfes Erlebnis Eisenbahn“, „Die dicke fette Berta“ und andere Preziosen. Die vollständige Neuaufnahmenliste des Index ist einsichtig über den 'BPS-Report‘, Am Michaelshof 8, 5300 Bonn 2.
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