Notwendige Abwägung

■ „Siemens come home“ — eine Parole, die die deutsche Friedensbewegung nicht kennt

Ami go home“ ist überall zu sehen, der Krieg wird verdammt. Aber war da nicht noch etwas gewesen? Hatte nicht der irakische Diktator Saddam Hussein am 2. August des letzten Jahres bereits einen Krieg, die Besetzung Kuweits nämlich, begonnen? Einerseits ist natürlich klar, daß es sich bei Kuweit nicht um eine Demokratie handelt, daß sein Gesellschaftsgefüge keineswegs mustergültig für die Verwirklichung der Menschenrechte ist. Andererseits aber kann das Schlucken eines kleinen Landes durch einen großen Nachbarn dadurch nicht einfach für Recht erklärt werden, zumal der Irak an demokratischen Qualitäten noch viel weniger zu bieten hat. Nein, dieser Krieg hat bereits am 2. August begonnen, und es gibt einen eindeutigen Aggressor: den Irak. Wenn sich jemand hätte zurückziehen sollen, dann nicht die Alliierten, die immerhin mit einem Mandat der UNO dort operieren, sondern der Irak aus Kuweit — und jene unserer deutschen Landsleute und Firmen aus dem Irak, die dort gegen jedes Völkerrecht bis heute beim Bau der Atombombe helfen. Würde die Friedensbewegung „Siemens come home“ fordern, man könnte diese Parole nur unterschreiben.

Und wie steht es dann mit dem Leid der Menschen? Die Gegnerschaft zum Krieg ist eine zivilisatorische Errungenschaft, keine Frage. Und barbarisch ist eine Welt, in der Kriege führbar sind und auch geführt werden. Aber ist nicht ebenso barbarisch auch die Welt, in der zwar kein heißer Krieg geführt wird, in der aber die Menschenrechte mit Füßen getreten werden? In der ein irakischer Diktator seine eigene Bevölkerung, die Kurden, zu Zigtausenden durch den Einsatz von Giftgas ermorden kann, ohne daß dieses größere Proteste hervorruft. Gewiß, die Blockkonfrontation zwischen Ost und West hat den Protest gegen solche Politik nur allzu oft auf ohnmächtige verbale Erklärungen reduziert. Heute macht die gewandelte Weltlage aber praktische Konsequenzen möglich — wenn nicht gar zwingend, will die internationale Völkergemeinschaft nicht jeglichen Kredit verspielen. Selbstverständlich stehen sich am Golf nicht das „Gute“ und das „Böse“ gegenüber. Natürlich gibt es jede Menge wirtschaftlicher und — vor allem — politischer Interessen, speziell für die USA, die hier einen ausgezeichneten Ansatzpunkt faden, ihr, durch den Zusammenbruch des Sowjetunion gefährdetes Leadership in der westlichn Welt unter Beweis zu stellen.

Die notwendigen Abwägung aber gar nicht erst zu versuchen, im Schubladendenken althergebrachten Antiimperialismus zu verbleiben — das katapultiert die Friedensbewegung aus dem gesellschaftlichen Diskurs heraus. Dann wird „Kein Krieg“ zur abstrakten, autoritären Norm vor der nichts bestand hat und vor der letztlich auch die Menschlichkeit all ihr Recht verloren hat. Uli Hausmann