Pazifismus oder Widerstand

■ Auf Hannes Steins Artikel über Gandhi und die Juden (taz vom 5.1.) gab es etliche Reaktionen. Eine Debatte zum Thema Gewaltfreiheit.

Die Reaktionen auf Hannes Steins Artikel „Der Guru und der Rabbi“, veröffentlicht auf den Kulturseiten am 5.1., reißen nicht ab. Aus diesem Grunde haben wir uns entschlossen, zwei Zuschriften, deren Kritikpunkte stellvertretend für eine Reihe von Reaktionen stehen, hier abzudrucken (aus Platzgründen leider leicht gekürzt), ebenso Gandhis Brief an Adolf Hitler. Angesichts des Krieges scheint uns eine Debatte über den Pazifismus zudem von besonderer Dringlichkeit.

Hannes Stein hatte Gandhis Reaktionen auf den Nationalsozialismus zitiert: „Wäre ich ein Jude und in Deutschland geboren und verdiente dort meinen Lebensunterhalt, ich würde Deutschland als meine Heimat reklamieren, wie es der staatlichste nichtjüdische Deutsche tun mag, und ihn herausfordern, mich zu erschießen oder in den Kerker zu werfen; ich würde mich weigern, mich vertreiben oder entwürdigender Behandlung unterwerfen zu lassen.“ Im folgenden setzte er sich mit Gandhis Pazifismus auseinander und beschrieb die Bedingungen des gandhischen Widerstands im Vergleich zur „jüdischen Frage“, beides im Zusammenhang mit der jeweiligen Religion. Er kam zu folgenden Schlüssen: „Fazit Nummer eins: Gegen ein anderes Imperium als das vergleichsweise milde der Briten hätte Gandhi keine Chance gehabt. Nur demokratisch verfaßte Gesellschaften garantieren eine genügend große Publicity, ohne die gewaltfreier Widerstand nicht wirksam werden kann. (...) Fazit Nummer zwei: (...) Für Humanisten, denen die Probleme des Diesseits wichtiger sein müssen als die Erlangung kosmischer Bewußtseinsstufen, taugt Gandhi ... nicht als Leitfigur. Das dritte Fazit ist tagespolitisch. (...) Es fällt nicht schwer, sich Gandhis Reaktion auf die jüngste Krise im Nahen Osten vorzustellen: Die irakische Aggression gegen Kuwait wäre von ihm mit scharfen Worten kritisiert worden. Gleichzeitig hätte er die amerikanischen Truppen in Saudi-Arabien als imperialistisch verurteilt. Die Israelis aber hätte Gandhi aufgefordert, sich aus den besetzten Gebieten zurückzuziehen, das Militär aufzulösen und sich von Saddam Hussein vergasen zu lassen, um das Weltgewissen wachzurütteln. Zum Glück ist Märtyrertum kein originär jüdisches Ideal.“

Wir nehmen die Gelegenheit wahr, einige Fehler zu berichtigen, die im Zuge einer hektischen Produktion bedauerlicherweise in diesem Artikel unterlaufen sind.

Hannes Stein zitierte Gandhi sinngemäß wie folgt: „(...) Zweitens rät Gandhi den Juden, sich als Deutsche zu fühlen und stolz zu ihrem Deutschtum zu bekennen. (...) Gandhi empfiehlt den Juden, ihr Leid innerlich zu bejahen und freudig auf sich zu nehmen. Sie würden auf diese Art große seelische Kraft gewinnen. Ein Krieg der westlichen Demokratien gegen Hitlerdeutschland könnte dagegen niemals solche inneren Kräfte freisetzen; vermutlich wäre sein unmittelbares Resultat sogar ein Massaker. Aber auch dieses Massaker könnte ,in einen Tag der Dankbarkeit und Freude verwandelt werden, daß Jehova die Erlösung seines Volkes aus den Händen des Tyrannen erwirkte. Denn für den Gottesfürchtigen hat der Tod keine Schrecken ...'“. Stein zitierte die Bedenken des liberalen Rabbi Judah L. Magnes gegen Gandhis Konzept des zivilen Widerstands: „Ist dies nicht im wesentlichen darum möglich, weil England — allen Auswüchsen seines Imperialismus zum Trotz — letztlich doch eine Demokratie ist, mit einem Parlament und einem beachtlichen Maß an freier Meinungsäußerung?“

Schließlich muß es statt „Herr Hitler wird sich vor dem Mut“ (der gewaltfrei sich ergebenden Juden, d.Red.) „vereinigen“ natürlich „verneigen“ heißen — und Mahatma Gandhis zitierter Artikel heißt selbstverständlich „The Jews“ statt „The News“. Wir bedauern die Fehler außerordentlich. taz