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Eating jaffa tv

■ “Winterreise“: Ein sehr aufregendes Symposion für Performance und Video

Zwischen zwei nackten Türstehern, einem Mann und einer Frau, zwängt sich eine Menge anständig gekleideter Leute durch, die alle so tun, als registrierten sie den engen Hautkontakt mit Adam und Eva ohne Feigenblatt gar nicht — oder als sei sowas für sie das Normalste der Welt. Wir, das Publikum der „Winterreise“, einem von GEDOK und Filmbüro gemeinsam organisierten Symposium für Performance und Video lassen uns zurückversetzen in die Radikalität der Siebziger Jahre, in denen KünstlerInnen den eigenen Körper rücksichtslos als Material gebrauchen.

Was ist das für eine Kunst, die nichts hinterläßt als Erinnerung, aber, wenn sie gelingt, einen Mythos, fragt Maria Vedder in ihrem Einführungsvortrag. Performance — die Traditionslinie reicht bis zu den Dadaisten — basiert auf einem Konzept des Ereignisses und will (demokratisch) vorleben statt vorschreiben. Damit doch etwas bliebe, war die Video-Aufzeichnung willkommen, die mit den Möglichkeiten des Mediums eine neue Dynamik entfaltete. Was ist nach zwanzig Jahren geblieben von einer Kunst, die lebendiger sein wollte als das Leben selbst?

Die Aktion Auslegung der Bremer Künstlerinnen Isolde Look und Edith Pundt vollzog sich zwischen zwei Monitoren, die Röntgenbilder und den Akt des Papierzerknüllens zeigten. Dazwischen legte Isolde Look mit Wörtern beschriftete Röntgenplatten aus, schwarz auf schwarz und weiß auf schwarz. Z.B. war zu lesen: „Operation“,“tiefe Zweifel“, „Hotel“, „gegen“, „Basketballspieler“. Der fertige Auslegungsteppich hinterließ Vorstellungen von Vergänglichkeit und Tod, manchem kam sofort der Krieg in den Sinn. Der Vorgang selbst basierte auf der Wiederholung, es dominierten die formale Strenge und die einmal festgelegte Regel.

Insofern verwandt die Performance von Edeltraut Rath und Herbert Schmitz: Eine malerische Meditation über den Kreis mit einem Gong, dessen Klänge die Intensität der Empfindung im abgedunkelten Raum verstärkten. Nach entschlossener Zeichnung der jeweiligen Kreisbögen folgte eine dreimalige Ausmalung in verschiedenen Farben und Variationen — bis zum Erreichen des eigenen Standortes. Und jetzt? Auch die letzte Spur der Macherin wird getilgt. Nicht nur ein Bremer Trend zu Anfang der Neunziger Jahre, ebenso der Verzicht auf Einbeziehung des Publikums.

Auch Michael Vorfeld zieht in Zarter Rausch mit seiner Selbstankündigung eine Grenze zwischen sich und den Anwesenden, doch wird sein Körpereinsatz im „Anprobieren“ der Instrumente als spannungsgeladene Präsenz spürbar. Wie die Kunsthistorikerin Doris Krininger uns vorbereitet hatte, verausgabt sich der Performer in seiner poetisch-dramatischen Kontaktaufnahme mit Sticks, Trommel, Generator, Becken und Schlauch. Mit dem schauderhaften Ding im Mund werden so grauslich-lächerliche Töne generiert, synchronisiert in Grimassen und Körperzuckungen, daß Abwehr und Faszination verschmelzen. Zwischen Körpersprache und Instrumentensprache verwischt die Grenze. Der Künstler bearbeitet das Becken mit den Zähnen und küßt es — nach dem Crescendo verharrt er in seiner reglos-bittenden Umarmung. „Ein Päckchen Stille war spürbar“, flüstert mir die Nebenfrau zu... Im Foyer läuft ein Fernseher. Und mich beschleicht kurz der Verdacht, daß in dieser Horror-Zeit eine Aktion wie die der Berliner Demonstranten, literweise Ochsenblut auf der Straße zu vergießen, als Antwort auf den jetzt aktuellen Zeitgeist unschlagbar bleibt.

Die Werkschau Eigenzeit der Künstlerin Barbara Hamann zeigt ihre Entwicklung vom Zentrum des eigenen Körpers — der immer wieder vorkommenden Hand und deren Gliedern — zu abstrakteren Auseinandersetzungen mit Raum und Zeit. Begeisterung erntete das frühe Video- Tape Eating jaffa tv: ein Alltäglichkeitspoem mit schöner, schnöder Wurschtigkeit in unvollkommen beherrschtem Englisch improvisiert. Unversehens wird aus dem Vorgang des Apfelsine-Essens das Welttheater der Zerstörung, des Fressens und — bald vielleicht? — Gefressen- werdens. Glitschige Nässe, Obszönität, entwaffnende Unverschämtheit gipfeln im befremdlichen Ekel-Angebot an den Zuschauer, sich doch der auf einen Nagel gepiekten Reste des Mahles als Schaschlik zu bedienen!

Das alles war so aufregend, daß man sich, kurz vor Mitternacht, schwer entschließen konnte, den geplanten Workshop zu verschieben: auf einen baldmöglichen anderen Tag, in einer, hoffentlich, anderen Zeit. Konstanze Radziwill

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