: Thors vergessene Provinzhämmer
■ In der Sporthalle Schöneberg kämpften die weltbesten Faustballer um den Nationenpokal/ Weltmeister Deutschland siegte vor Vizeweltmeister Österreich und der Schweiz/ Trotz guten Sports fristet Faustball ein tristes Schattendasein
Schöneberg. »Unser Sport«, resigniert Joachim Günther, Spielwart des Berliner Turnerbundes (BTB), »ist ganz bestimmt nicht unattraktiv. Dennoch nehmen die Medien Faustball nicht richtig wahr.« In der Tat: Da stehen sich mit Weltmeister Deutschland, Vizeweltmeister Österreich und der Schweiz die besten Teams auf dem 20 mal 40 Meter großen Spielfeld in der Schöneberger Sporthalle gegenüber. Und dennoch fahndet Herr Günther, der rührige Spielwart des Berliner Turnerbundes, nach den spärlich vertretenen medialen Multiplikatoren unter den 1.000 Besuchern, die größtenteils schon längst Rente beziehen.
Was für eine Schmach! Gerade Faustball gilt als urdeutsche Sportart, seitdem Turnvater Jahn Anfang des 19. Jahrhunderts diese Disziplin in seine wehrsportähnliche Leibeserziehung integrierte. Denn mit Faustball konnten sich die auf umfassende Körperbildung erpichten Turner nie anfreunden.
Wie beim Wiegenfest des deutschen Turnens, so untersteht die Orchideensportart auch noch heute den Sachverwaltern von Bauchaufschwüngen und Klimmzügen. Die Jahn-Jünger, ohnehin die Germanen unter unseren konservativen Sportfunktionären, verwalten somit den erfolgreichsten Titelproduzenten in unseren Landen. »Bislang«, strahlt Joachim Günther wie die Hallenbeleuchtung am Sachsendamm, »hat Deutschland alle sieben Weltmeistertitel errungen, die seit 1968 ausgetragen worden sind.«
Bravo. Dennoch entbehrt Faustball nicht nur einer attraktiven PR- Vermarktung (typisch Turnerbund!), sondern auch der nötigen charismatischen Originalität. Das Spielfeld besitzt die Ausmaße eines Handballfeldes; der Faustkampf am zwei Meter hohen Netz in der Platzmitte, unter dem sich pro Mannschaft fünf Feldspieler tummeln, entspricht den Volleyballregeln — mit dem Unterschied, daß der Faust-Ball vor drei möglichen Zuspielen je Team jeweils den Boden berühren darf.
Die Deutschen in Schöneberg waren darin nicht zu überbieten. Unter Aktivierung der letzten Muskelfaser retournierten die Multiweltmeister die Faustkeile der Alpenländer. Im Gegenzug donnerten die deutschen Mannen ihre Attacken in das Kontor der Älpler. Vor allem das Angriffsduo Dirk Schachtsiek (Hagen) und der Duisburger Martin Becker machte fast alles auf eigene Faust. Das Heimpublikum tobte, wenn sie ihre Schmetterschläge wie Thors Hammer auf die Hallenwand sausen ließen, daß der Putz bröckelte. Doch gerade diese monotonen Soloeinlagen verdrängen ein quirliges Mannschaftsspiel à la Volleyball. Sport war in Schöneberg gleichbedeutend mit den unerreichbaren Faustkeilen aus Nordrhein-Westfalen. Die Schweiz hatte mit 5:15 sowie 8:15 gegen die transalpine Wuchtbrumme das Nachsehen; Vizeweltmeister Österreich blieb gegen den Worldchampion ebenso chancenlos (11:15 und 12:15), gewann jedoch mit 2:1 Sätzen gegen die Schweiz den zweitgrößten Nationenpokal.
Faustball ist Leistungssport, keine Frage. Es erfordert höchste körperliche Beherrschung, Blitzreaktionen und enorme Schlagkraft. Die deutsche Auswahl setzte dieses Triptychon am besten ins Bild. Dennoch: Man hat alles irgendwie schon mal gesehen. Gerade Volleyball hat die »rüdesten« Schmetterschläge des Faustballs erst adoptiert, schließlich »domestiziert«: die Hechtsprünge am Zweimeternetz, die Deutschlands Fäustlinge in Berlin bravourös demonstrierten, wirken beim Volleyball weicher, geschmeidiger — und damit publikumswirksamer. Die schnellere Volley-Variante scheint dem ästhetischen Anspruch der Zuschauer, was Geschmeidigkeit und athletische Anmut betrifft, eher zu genügen als das urige Faustrecht.
Das Stadt-Land-Gefälle zwischen beiden Spielweisen unterstreicht diese Entwicklung. Bei den Volleyballern stehen längst Großstadtvereine aus Hamburg, Stuttgart (Feuerbach) oder München (Milbertshofen/Lohhof) an der Bundesliga- Spitze. In der Sporthalle Schöneberg bildeten Recken aus Eibach in Franken, Waibstadt (bei Heidelberg) oder Burghausen (nahe Altötting) neben vier »Metropoliten« aus Hagen, Hannover und Duisburg den deutschen Faustball-Kader. Gauturnfest statt Galashow — nicht nur, was die Provenienz der Akteure betrifft. Jürgen Schulz
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