Jetzt über das Ende des Golfkrieges hinausdenken!

■ Äußerst skeptisch beurteilt Zbigniew Brzezinski die Chancen einer internationalen Friedenskonferenz nach dem Ende des Golfkrieges

Zbigniew Brzezinski war Nationaler Sicherheitsberater Präsident Carters und ist heute Berater am Center for Strategic & International Studies in Washington.

Frage: Herr Brzezinski, was hat denn der Golfkrieg bisher in strategischer Hinsicht bewirkt?

Brzezinski: Präsident Bush hat zeigen wollen, daß er es mit seiner Forderung an den Irak, Kuwait zu verlassen, ernst meint und daß die USA bereit sind, zu handeln. Aber jetzt sollten wir auch damit beginnen, ernsthaft über die politische Phase nachzudenken, die nach dem Ende der militärischen Auseinandersetzung kommen wird. Zweitens müssen wir uns über die regionalen Konsequenzen dieses Krieges Gedanken machen, über den Nahen Osten ganz allgemein. Drittens müssen wir über unseren Slogan der „neuen Weltordnung“, die wir andauernd beschwören, hinausblicken und uns fragen, ob es diese neue Weltordnung wirklich gibt. Oder ob das, was wir darunter verstehen, nicht doch bloß eine Ordnung ist, die auf der einen Supermacht, nämlich den USA, beruht. Vielleicht besteht in Europa auch der Verdacht, daß es außerdem eine heimliche Absprache zwischen der Supermacht USA und der regionalen Macht Sowjetunion gibt, die letzterer erlaubt, ihre Macht über die baltischen Staaten zu behalten, im Austausch gegen ein freies Wirken der USA am Golf.

Glauben Sie, daß an diesem Verdacht etwas dran ist?

Nein, in dieser Hinsicht vertraue ich Präsident Bush und glaube auch, daß Amerika dies nicht dulden würde. Aber ich kenne die Europäer auch gut genug, um zu wissen, daß die meisten von ihnen glauben, Geschichte sei nur ein Produkt von Perfidie und Konspiration. Und deswegen sind die Europäer schnell bereit anzunehmen, daß, ähnlich wie 1956 während der Suezkrise und der Niederschlagung des Aufstands in Ungarn, auch diesmal wieder eine Art Arbeitsteilung zwischen den USA und der Sowjetunion besteht. Wir nehmen uns den Problemen des Persischen Golfs an und überlassen dafür den Sowjets ihre eigenen Probleme im Baltikum. Ich glaube, eine solche Sichtweise wäre sehr unglücklich, weil die Ereignisse in der Sowjetunion letzten Endes wichtiger sein werden.

Zurück zu dem was, sie die politische Phase genannt haben. Was ist denn darunter zu verstehen?

Es geht darum, was nach dem Ende der Feindseligkeiten geschieht, wenn die andere Seite kapituliert hat, besiegt worden ist, oder der Krieg langsam zu einem Ende gekommen ist. Gibt es danach eine Autorität in Bagdad, mit der wir zu Verhandlungen kommen können? Wird dies im Falle einer Kapitulation Saddam Hussein sein? Wenn nicht, gibt es eine revolutionäre Regierung, die ihn durch einen Coup oder seine Ermordung ablöst? Wenn nicht, was tun wir dann? Wie weit beteiligen wir uns bei der Etablierung einer neuen Macht? Ich bin mir nicht sicher, ob wir das bei unserer Entscheidung für den Krieg alles durchdacht haben. Ich befürchte zudem, daß wir es im Irak mit einer langen Krise zu tun haben könnten. Vieles hängt davon ab, ob dieser Krieg schnell beendet werden kann, oder ob er sich in die Länge ziehen wird. Dauert er länger, dann wird dieser Krieg Konsequenzen haben in bezug auf den Iran, Syrien und die allgemeine Radikalisierung der arabischen Völker.

Sie haben die regionalen Probleme erwähnt, die es in der Folge zu lösen gilt. Können Sie die konkretisieren?

Erstens geht es hier um das Machtgleichgewicht in der Region nach der Niederlage des Irak. Selbst wenn wir bewußt versuchen, den Irak nicht völlig zu zerstören, wird dieses Land sehr geschwächt sein. In industrieller Hinsicht wird es durch den Krieg vielleicht sogar völlig erledigt. Dann besteht die Gefahr, daß der Iran zur geopolitischen Macht Nummmer eins am Persischen Golf wird. Sollen wir das akzeptieren? Ich gehe davon aus, daß wir eine ganze Weile in Kuwait werden bleiben müssen und auf absehbare Zeit auch auf eine gewisse Präsenz in Saudi Arabien nicht verzichten können. Zweitens gibt es den arabisch-israelischen Konflikt. Wie sollen wir denn nach diesem Krieg die Araber davon überzeugen, daß es uns nicht allein um rein anti-arabische Feindseligkeiten geht? Wie bewegen wir uns auf einen Frieden zu und wie begegnen wir der Angst Israels, daß wir ihre Interessen verraten? Da wird es großen internationalen Druck auf uns von seiten der Europäer geben, sehr sehr bald eine internationale Friedenskonferenz auszurichten. Sind wir bereit, das zu akzeptieren? Und wenn wir nicht bereit sind, gefährden wir damit nicht unsere Beziehungen zu den arabischen Staaten? Gehen wir andererseits auf die Forderung nach einer Friedenskonferenz ein, werden wir dann nicht im nachhinein angeklagt, genau das „linkage“ zwischen der Golfkrise und dem Palästinenserproblem zu akzeptieren, das wir vor dem Krieg abgelehnt haben?

Erhöht die Möglichkeit eines schnellen Krieges mit wenigen Opfern und ohne, daß Israel eingreift, die Wahrscheinlichkeit, daß es am Ende doch zu einer positiven Lösung im Nahen Osten kommen könnte?

Ich bin da skeptisch. Ich denke, die arabisch-israelischen Probleme sind so tiefgreifend, daß es äußerst schwierig sein wird, einer Lösung näherzukommen. Ich befürchte nämlich, daß Jordanien als Konsequenz des Geschehens politisch destabilisiert wird, was bedeuten würde, daß sich die Lösung des Palästinenserproblems weiter komplizieren würde. Darüberhinaus bin ich nicht sicher, ob die Israelis dann noch ein besonderes Interesse an einer friedlichen Lösung des Problems haben, wenn die Drohung durch das Militärpotential des Irak durch den Krieg ausgeschaltet ist. Sie könnten denken, warum sollen wir jetzt noch Konzessionen für eine friedliche Lösung eingehen, wenn wir nicht dazu gezwungen sind.

Könnten die USA, nachdem sie die Bedrohung durch den Irak ausgeschaltet hätten, nicht erheblichen Einfluß auf Israel ausüben, einer Konferenz zur Lösung des Palästina-Konflikts zuzustimmen?

Ich denke, der Einfluß, von dem Sie sprechen, existiert theoretisch bereits seit Jahren. Aber er ist von den USA nicht ernstlich geltend gemacht worden, weil die innenpolitischen Kosten zu hoch erschienen. Die könnte Präsident Bush nur nach einer schnellen, erfolgreichen Beendigung des Krieges auf der Höhe seiner Macht tragen. Ich glaube allerdings, daß wir am Ende schon so froh sein werden, diese Krise überhaupt hinter uns gebracht zu haben, daß eswenig Bereitschaft geben wird, einen wirklich energischen Anlauf für einen arabisch-israelischen Frieden in der dann noch instabileren Region zu unternehmen.

Haben sie deswegen vor Ausbruch des Krieges zur Zurückhaltung aufgerufen?

Ja.

Sie wollten vor einer militärischen Eskalation zunächst noch weiter auf die Sanktionen setzen. Denken Sie heute anders?

Nein. Ich werde niemals anders darüber denken können, weil ich nie wissen werde, ob ich Recht oder Unrecht hatte. Ich hatte und habe das Gefühl, daß unser Ziel nicht so dringend war, daß es eine unmittelbare oder auch nur frühe militärische Reaktion erforderte. Ich habe und hatte auch das Gefühl, daß der Irak nicht so mächtig ist, wie es vorher den Anschein hatte. Noch vor wenigen Tagen sprachen wir von diesem Land, als stehe es im Begriff, die Welt zu erobern, und nun sitzen wir hier und rätseln, wie seine Luftverteidigung über Nacht zusammenbrechen konnte. Ein Land, das derart verletzlich ist, kann der Welt nicht wirklich seinen Willen aufzwingen. Der Irak ist eben ein Dritt-Welt-Land.