: Aids-Projekte auf der Sparliste des Bundes
■ Selbsthilfegruppen in Ost-Berlin und den fünf neuen Bundesländern wurden bereits in der Startphase finanziell auf Eis gelegt/ »Referat Ost« der Deutschen Aids-Hilfe kämpft ums Überleben/ Bisher sind in Berlin 1.092 Menschen an Aids erkrankt
Berlin. »Im Westen nichts Neues, wenig Kosten im Osten« — so könnte die Losung für die derzeitige Sparpolitik von Bund und Ländern lauten. Auch die Aids-Selbsthilfegruppen gehören zu den Leidtragenden der Katerstimmung nach dem Einheitsfest. Bereits geplante Projekte werden eingefroren und die Zuwendungen für 1991 auf das Maß vom Vorjahr begrenzt. Die kommunalen Selbsthilfeorganisationen in Berlin trifft es noch härter, im Vergleich zum Vorjahr müssen sie 1991 voraussichtlich im Schnitt mit 11,5 Prozent weniger Landesmitteln auskommen. Die Anzahl der Betroffenen steigt indessen weiter. In Berlin erkrankten bisher 1.092 Menschen an der Immunschwäche, in Deutschland insgesamt 5.612.
Trügerische Ruhe herrscht derweil noch in den fünf neuen Bundesländern: Dort gab es bislang »nur« 26 Aids-Kranke, 10 davon im Ostteil von Berlin. 16 sind inzwischen gestorben. In Brandenburg erkrankten vier, von ihnen sind zwei gestorben.
Ums Überleben kämpft derzeit auch das sogenannte »Referat Ost« der Deutschen Aids-Hilfe (DAH). Bis Ende letzten Jahres firmierte es noch eigenständig als Ostberliner »Aids-Hilfe«, finanziert aus einem Nachtragshaushalt des DDR-Gesundheitsministeriums. Nun hängt das neue Referat Ost, wie auch seine Mutterorganisation, am Bonner Finanztropf. Da dem Bund das Geld fehlt, gibt er die Finanzmittel für die westliche DAH schon jetzt aus, für den Nachwuchs Ost jedoch erst im Mai. Bis dahin muß das Referat Ost von der DAH »durchgefüttert« werden. Als Gegenleistung stellt das Referat Ost zwei seiner vier hauptamtlichen Mitarbeiter der völlig überlasteten DAH zur Verfügung.
Die verbleibenden zwei Mitarbeiter im Referat Ost können ihr Arbeitspensum kaum noch bewältigen: Neu gegründete Aids-Selbsthilfeorganisationen in mittlerweile mehr als zwölf Städten von Chemnitz bis Weimar sind auf Weiterbildung ihrer zumeist ehrenamtlichen Mitarbeiter durch das Ostberliner Team angewiesen. Für die anonyme Telefonberatung in Ost-Berlin bleiben da nur noch drei Stunden pro Tag.
Ein Antrag auf einen Sonderfonds von 2,8 Millionen Mark zur Finanzierung von 15 Aids-Selbsthilfeprojekten in den neuen Bundesländern wurde bereits Ende Dezember von Bonn abgelehnt. Inzwischen signalisierte das Bundesgesundheitsministerium, daß die Ostler im Mai mit maximal zwei Stellen rechnen dürfen. Gebraucht würden neun. Bleibt es bei zwei Stellen, »dann können wir zumachen«, meint Referat-Ost-Mitarbeiter Reiner Metz.
Ans »Zumachen« will man beim HIV e.V. im Westteil der Stadt gar nicht denken. In diesem schwulen Selbsthilfeprojekt nehmen schwule Pfleger seit 1987 die häusliche Pflege von Aids-Kranken selbst in die Hand. Wenn am 31. September dieses Jahres das Bundesmodellprojekt zur Förderung ambulanter Pflegestellen ausläuft, droht dem Verein das Aus. Die Übernahme der acht halben Pflegestellen durch den Berliner Senat steht noch die Frage. Für Aids-Kranke in Berlin — und wahrscheinlich auch im Umland — ist der HIV e.V. die einzige Möglichkeit, von schwulen Pflegern versorgt in den eigenen vier Wänden zu sterben. »Wir sind ein wirklich funktionierendes Modell, stehen aber auf total wackligen Beinen«, sagt Uschi Portscht von der gemeinnützigen Gesellschaft »zuhause im Kiez« (ziK). 62 obdachlose Aids-Kranke haben durch das ziK bisher eine Wohnung gefunden. Mit dem Auslaufen des Bundesprogramms droht auch hier das finanzielle Ende.
Einen Beratungsladen in Prenzlauer Berg wollte der Ostberliner Aids-Arbeitskreis »Pluspunkt« zusammen mit der Berliner Aids-Hilfe aufbauen. Auch dieses Projekt ist inzwischen an den Finanzlöchern im Haushalt gescheitert. Aus Geldmangel aufgelöst hat sich auch der Ostberliner »Aids-Kreis«, neben dem Referat Ost die letzte nichtbehördliche AIds-Beratung in Ost-Berlin. Marc Fest
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