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Nato-Bündnisfall kein Automatismus

■ Vertreter von CDU und SPD widersprechen Nato-Generalsekretär Wörner/ SPD-Chef Vogel will nicht die Türkei über den Bündnisfall entscheiden lassen

Bonn/Brüssel (taz/ap/dpa) — Mit der drohenden Gefahr einer militärischen Auseinandersetzung zwischen dem Nato-Mitglied Türkei und dem Irak wird die Frage einer direkten Beteiligung der Bundesrepublik am Golfkrieg zunehmend kontrovers diskutiert. Dabei verläuft die Konfliktlinie um die Frage, ob die Bundesrepublik bei einem irakischen Angriff automatisch zur militärischen Unterstützung ihres Nato- Partners verpflichtet ist, derzeit zwischen Bonn und Brüssel.

Vertreter aller Parteien widersprachen gestern der Auffassung von Nato-Generalsekretär Wörner, ein irakischer Angriff auf die Türkei löse automatisch den sogenannten Bündnisfall und damit die Verpflichtung der Nato-Partner zur Verteidigung der Türkei aus. Der Vorsitzende des auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Hans Stercken (CDU), erklärte, von einem Automatismus, der die Bundesrepublik zum Eingreifen verpflichte, könne nicht die Rede sein. Die Feststellung des Bündnisfalles, der einstimmig von allen Nato-Mitgliedstaaten beschlossen werden muß, sei eine politische Entscheidung, die die Bundesregierung nur nach Kenntnis aller Begleitumstände treffen könne. Hierbei sei die Beteiligung des Bundestages bereits zugesagt. Auch FDP-Chef Lambsdorff betonte, daß der Bündnisfall nicht automatisch eintrete.

Unterdessen warf der SPD-Bundestagsabgeordnete und General a.D. Manfred Opel den USA und der Türkei vor, das Eingreifen der Nato in den Golfkrieg zu provozieren. Opel, der im internationalen Stab des Nato-Hauptquartiers in Brüssel jahrelang das Referat Strategische Planung leitete, erklärte: „Ich habe die schlimme Befürchtung, daß Türken und Amerikaner den ,Bündnisfall‘ konstruieren.“ Dem Bundeskanzler warf Opel „ein völlig unakzeptables vordemokratisches Verfahren“ vor und verwies darauf, daß Helmut Kohl den Bundestag über einen militärischen Einsatz deutscher Soldaten am Golf lediglich informieren wolle. „So hat auch Kaiser Wilhelm II. 1914 die Parteien am Beginn des Ersten Weltkrieges beteiligt.“

SPD-Chef Vogel äußerte die Ansicht, nach den US-Angriffen von türkischen Stützpunkten aus, müsse die Anwesenheit der bundesdeutschen Alphajets in der Region neu überdacht werden. Der Grund habe ja geheißen, man müsse die Türkei vor einem irakischen Angriff schützen, erklärte der SPD-Politiker. Inzwischen sei die Türkei durch die Bereitstellung und Überlassung ihrer Flugplätze an die Vereinigten Staaten an den Kampfhandlungen beteiligt. Es gebe zudem Anzeichen dafür, „daß die Türkei selber eingreifen will“, meinte der SPD-Vorsitzende. Wenn es aufgrund solcher Aktivitäten zu kriegerischen Auseinandersetzungen komme, „wenn daraus Kampfhandlungen mit dem Irak entstehen, dann ist das nicht der Bündnisfall“, betonte er. Die SPD habe das auch der Bundesregierung deutlich gemacht. Die Nato sei ein Verteidigungsbündnis, und es könne nicht ein Staat, nämlich die Türkei, darüber entscheiden, daß die ganze Nato involviert werde.

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