: Angst vor Anschlägen gegen Alliierte
Verfassungsschutz und Polizei befürchten Attentate proirakischer Gruppen/ Sicherheitsvorkehrungen wurden überall verschärft/ Besondere Vorkehrungen bei der Nato in Brüssel/ Araber in der Bundesrepublik werden überwacht ■ Von Wolfgang Gast
Berlin (taz) — Die Angst vor möglichen Anschlägen geht um: US-amerikanische Kindergärten sind geschlossen, Supermärkte in den Siedlungen britischer, französischer oder amerikanischer Soldaten wurden dichtgemacht, die Zufahrtswege zu Militäreinrichtungen wurden allerorten in den letzten Wochen massiv verrammelt. Nach den wiederholten Aufrufen Saddam Husseins, den Erzfeind USA und seine Verbündeten weltweit mit Terroraktionen zu überziehen, herrscht bei den Sicherheitsbehörden Alarmstufe eins. Sondereinheiten wie die GSG 9 sind in ständiger Einsatzbereitschaft. Es sind weniger Institutionen der Bundesrepublik als vielmehr die Einrichtungen der Alliierten, die die Mitarbeiter der Polizeien und Geheimdienste durch Anschläge extremistischer arabischer Gruppen bedroht sehen. Drastisch verschärft wurden auch die Sicherheitsvorkehrungen im internationalen Luftverkehr. An den Abfertigungsschaltern der Fluggesellschaften bilden sich seitdem lange Warteschlangen.
Die „Ausgangslage“, so heißt es bei den Verfassungsschützern, ist, daß von verschiedenen, auch palästinensischen, Gruppen bereits mehrfach Attentate angekündigt wurden. Nach den Erfahrungen der letzten Jahre müsse man in erster Linie mit einem spektakulären Anschlag auf die Zivilluftfahrt oder auf eine US- amerikanische Einrichtung rechnen. Besonders bedroht sind nach der Einschätzung der Experten die Einrichtungen der unmittelbar am Golfkrieg beteiligten Staaten, also der USA, Frankreichs, Großbritanniens sowie — aber aus anderen Gründen — Israels. Aber auch die Botschaften, Firmen und sonstigen Niederlassungen Saudi-Arabiens oder Ägyptens gelten als anschlagsrelevante Ziele.
Ob im Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz, den einzelnen Landesämtern oder im Wiesbadener Bundeskriminalamt — es werden immer die gleichen Gruppen aufgeführt, die als potentielle Attentäter in Betracht kommen sollen:
— Abu Nidal und seine „Fatah — Revolutionärer Rat“. 1983 wurde sie zwar aus dem Irak geworfen, weil Saddam Hussein im iranisch-irakischen Krieg dem Westen ein Zeichen des Entgegenkommens setzen wollte. Jetzt aber residiert Abu Nidal wieder in Bagdad, die Freundschaft zum Diktator wurde erneuert.
— die „Demokratische Front zur Befreiung Palästinas“ (DFLP), von der es etwa bei Berliner Verfassungsschützern heißt, daß sich zumindest ein Teil der Organisation auf die Seite Husseins geschlagen hat.
— die „Arabische Befreiungsfront“ (ALF), die stets unter irakischer Schutzherrschaft gestanden hat. Sie soll in Griechenland über einen kleinen Anhängerkreis verfügen. In den letzten Jahren trat die ALF mit Anschlägen allerdings nicht in Erscheinung.
— die „Palästinensische Befreiungsfront“ (PLF) von Abul Abbas. Ihr wird unter anderem die spektakuläre Entführung des Kreuzfahrtschiffes „Achille Lauro“ auf dem Weg von Alexandria nach Port Said zur Last gelegt. Über den Sender Radio Monte Carlo soll Abul Abbas, der sich ebenfalls in Bagdad aufhält, bereits im August mit Anschlägen auf US-amerikanische Einrichtungen in Europa gedroht haben.
— genannt wird auch die im Irak gegründete „Organisation 15. Mai“. Ihre Spezialität ist die Herstellung von Sprengsätzen, deren Explosionen nach einer Zeitvorgabe durch sinkenden Luftdruck ausgelöst werden. Diese Bomben werden als besondere Bedrohung für den internationalen Luftverkehr angesehen.
Wie ihre Kollegen in den anderen Ländern der Europäischen Gemeinschaft werfen die deutschen Nachrichtendienste ein besonderes Augenmerk auch auf die bedeutendste Untergruppe der PLO, der „Al-Fatah“ von PLO-Chef Jassir Arafat. Die PLO, um internationale Reputation bemüht, hat sich zwar vor Jahren schon von terroristischen Aktionen distanziert, aber die letzten Auftritte Arafats an der Seite des irakischen Diktators haben den Argwohn der westlichen Geheimdienste geweckt. Nach der Ermordung des PLO-Vize Abu Ijad in Tunis in der letzten Woche, der Arafat vehement seine Hinwendung zu Saddam Hussein vorwarf, spekulieren die Dienste jetzt über die inneren Widersprüche in der PLO und einer möglichen neuerlichen Hinwendung zu Anschlägen.
Fraglich scheint den Sicherheitsbehörden auch, wie sich die fundamentalistisch-schiitischen Organisationen im weiteren Verlauf des Golfkrieges verhalten. Bislang waren sie — allen voran die „Hisbollah“ — auf strammem antiirakischen Kurs. Wenn es Saddam Hussein aber gelingen sollte, Israel in den Golfkrieg zu verwickeln, fürchten die Geheimdienstler, daß sich diese Gruppen auf die Seite Saddams schlagen und anschließend seinem Terroraufruf Folge leisten könnten.
Seit die US-Streitkräfte ihre Angriffe auch aus dem Süden der Türkei gegen den Irak fliegen, fragen sich die Mitarbeiter der Abteilungen „Ausländerextremismus“ weiter, wie die kurdische Arbeiterpartei PKK reagieren wird. Führende PKK-Funktionäre haben das US-Engagement bereits zum „Angriff auf unser Volk“ erklärt. Aber automatisch wollen die Verfassungsschützer, wie etwa in Hamburg, nicht auf mögliche PKK-Anschläge in Europa schließen.
Außer den Diplomaten Bagdads und den Mitgliedern des irakischen Geheimdienstes DGI stehen seit Ausbruch des Golfkrieges auch über 3.000 Araber im Bundesgebiet, die von den Behörden extremistischen Gruppen zugerechnet werden, unter der besonderen Beobachtung des Verfassungsschutzes. Überwacht wird mit allen Mitteln, die den Nachrichtendiensten zur Verfügung stehen. In Berlin wurden beispielsweise letzte Woche die Wohnungen von 50 vermeintlichen Saddam-Anhängern von der Polizei durchsucht und drei Personen vorübergehend festgenommen. Gefunden wurden aber weder Sprengstoff noch Waffen. Die beschlagnahmten Unterlagen, heißt es, werden derzeit noch ausgewertet. Derartige Durchsuchungen, das bestätigte ein Verfassungsschützer, haben aber auch den Hintergrund, Anhängern Saddam Husseins deutlich zu zeigen, daß die Sicherheitsbehörden ein Auge auf sie geworfen haben.
Seit die militante Neonazi-Szene in der Bundesrepublik in ihren Publikationen Saddan Hussein als Kämpfer gegen den US-Imperialismus feiert und hinter geschlossenen Türen dessen „Kampf gegen Israel“ bejubelt, rechnen die Sicherheitsbehörden aber auch mit Brandanschlägen der rechten Ultras auf amerikanische oder jüdische Einrichtungen. In Brüssel, wo Zehntausende Angehörige der EG-Staaten und der Nato arbeiten, sind die Sicherheitsvorkehrungen am schärfsten. Die Mitarbeiter der Nato wurden angewiesen, ihre Privatfahrzeuge bis auf weiteres in den Garagen verschwinden zu lassen. Drastischer sind noch die Auflagen eines amerikanischen Chemiekonzerns: Den Angestellten in der Brüsseler Niederlassung wurden Reisen im Flugzeug, in Zügen oder auf Fähren untersagt. Und mit dem Auto sind ihnen nur noch „begründete Fahrten“ erlaubt.
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