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Orientalische Tribüne

■ "Opfer, über die man nicht spricht"

Sertac Bucak ist staatenloser Kurde und lebt seit 20 Jahren in Bremen.

taz: Ein eigenständiges Kurdistan würde ein großes Stück Türkei und Irak, ein Stück Syrien und ein Stück Iran umfassen. Hast Du Hoffnung, daß aus dem Golf- Krieg ein solcher Staat entstehen könnte?

Sertac Bucak: Nein. Ich glaube nicht, daß dieser Krieg die Probleme im Nahen Osten lösen kann. Eine internationale Nahost- Konferenz, die alle Probleme der Region einbezieht, könnte dagegen eine Hoffnung auch für die Kurden sein. Aber die türkische Regierung versucht mit allen Mitteln zu verhindern, daß im Norden Iraks ein autonomer Staat Kurdistan entsteht. Dagegen ist auch der Irak und dagegen wird auch Syrien sein. Ich habe die Nase voll von dieser Doppelstrategie bei Menschenrechten.

Du glaubst nicht, daß die Zukunft Positives für Kurdistan bringt?

Positives? Nein, ich habe Angst, daß mein Land jetzt so zerstört wird, daß aus ihm gar nichts mehr zu machen sein wird.

Weißt Du Genaueres über die Situation in Kurdistan?

Irakisch Kurdistan wird ständig bombardiert. Der Bombenhagel ist bis in die Grenzstädte der Türkei zu hören. Das wenige, was durch Saddam von Kurdistan noch übrig gelassen wurde, das ist durch diesen Krieg jetzt kaputt.

Und die Türkei ist schon total im Krieg. Zwar kämpfen die türkischen Truppen noch nicht, aber die amerikanischen Flugzeuge fliegen ständig Einsätze. Wenn Saddam Raketen schickt, dann reichen die höchstens bis nach Ankara. D.h. erstmal kommen die kurdischen Städte dran — obwohl wir mit diesem Krieg überhaupt nichts zu tun haben.

Es fliehen offensichtlich sehr viele Kurden vor dem Krieg.

Das ist richtig. Die Bevölkerung ist auf diesen Krieg nicht vorbereitet, es gibt keine Giftgas-Masken oder Bunker. Und es gibt auch die Befürchtung, daß die Türkei Giftgas einsetzt und das anschließend der irakischen Regierung in die Schuhe schiebt.

Du hälst das für möglich?

Ja, es ist alles möglich. Bei allen Staaten im Nahen Osten haben wir aus Erfahrung überhaupt keine Hemmungen, das Schlimmste zu befürchten.

Der türkische Staatspräsident hat schon am 16. Januar wortwörtlich gesagt: „Aus diesem Krieg wird eine große Türkei hervorgehen.“ D.h., die Türkei will den irakischen Teil Kurdistans, der sehr reich an Erdöl ist, für sich einbehalten. Das ist der Traum der türkischen Regierung. Inwieweit die Amerikaner das zulassen, das ist eine andere Frage.

Als Kurde im deutschen Exil — was kannst Du da machen?

In der Berichterstattung wird das Thema Kurdistan einfach umgangen. Während es in den Niederlanden normal ist, daß im Fernsehen immer auch kurdische Experten eingeladen werden, wurde im deutschen Fernsehen noch kein einziger Kurde befragt. Wir sind die Opfer, über die man hier sehr wenig spricht.

Durch die Friedensbewegung versuchen wir uns jetzt einzumischen und eine Öffentlichkeit zu schaffen. Aber wir haben keinen Staat hinter uns. Trotzdem habe ich die Hoffnung noch nicht aufgegeben, sonst würde ich die Arbeit nicht machen. Fragen: Dirk Asendorpf

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