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Der Bundesregierung ist bekannt

■ Waffenexport und Technologiezulieferungen in die Dritte Welt/ Aus der Anfrage der Abgeordneten Petra Kelly an die Bundesregierung DOKUMENTATION

Die bundesdeutsche Friedensbewegung gerät wegen ihres Engagements gegen den Golfkrieg zunehmend ins Zentrum der nationalen und internationalen Kritik. Bundeskanzler Kohl zeigte sich gestern bestürzt über „die moralische Gleichgültigkeit, die krasse Verdrehung der Tatsachen und das bewußte Aufpeitschen von Emotionen“. Als Beitrag zur Debatte um das Verantwortungsbewußtsein der bundesdeutschen Friedensbewegung bzw. der Bundesregierung dokumentieren wir die folgenden Auszüge:

Frage: Ist der Bundesregierung der aktuelle Bericht des Wissenschaftlichen Dienstes des US-Kongresses über Waffenexport bekannt, demzufolge die Bundesrepublik Deutschland ihre Waffenverkäufe von 83 Millionen Dollar im Jahre 1988 auf fast 1,3 Milliarden Dollar im Jahre 1989 gesteigert hat?

Stimmt diese Feststellung? Wenn nicht: Wurde sie korrigiert?

Antwort: Der Bundesregierung ist dieser Bericht bekannt. Die zitierte Statistik bezieht sich auf abgeschlossene Verträge über Waffenlieferungen in die Dritte Welt. Abgeschlossene Verträge werden vielfach nicht oder nicht vollständig durchgeführt, so daß die tatsächlichen Ausfuhren oft deutlich unter den im Vertrag festgehaltenen Werten liegen. Die Bundesregierung nimmt zu derartigen Berichten kommentierend oder korrigierend nicht Stellung.

Trifft es zu, daß die Bundesrepublik Deutschland als einziges EG- und Nato-Land beim Waffenexport in die Dritte Welt seit 1988 zulegte?

Dies trifft nach den Zahlenangaben des oben genannten Berichtes selbst nicht zu. Nach diesem Bericht des US-Kongresses stiegen die Waffenlieferungen der Bundesrepublik Deutschland in die Dritte Welt zwischen 1988 und 1989 von 240 Mio. US-Dollar auf 250 Mio. US-Dollar. Die Vergleichszahlen für Frankreich lauten: von 1,44 Mrd. US-Dollar auf 1,81 Mrd. US-Dollar, für Großbritannien: von 510 Mio US-Dollar auf 2,31 Mrd. US-Dollar. Von den in diesem Bericht genannten EG- und Nato-Ländern verzeichnet lediglich Italien eine Abnahme der Waffenexporte in die Dritte Welt.: von 200 Mio. US-Dollar auf 20 Mio. US- Dollar.

An welcher Stelle steht die Bundesrepublik Deutschland als Waffenexporteur im Ländervergleich?

Für internationale Vergleichszwecke zieht die Bundesregierung vor allem die Veröffentlichung der US Arms Control and Disarmament Agency (ACDA) und des Stockholmer Peace Institute (SIPRI) heran. Nach dem ACDA-Bericht für 1988 steht die Bundesrepublik Deutschland beim Export von Waffen für den Zeitraum 1983 bis 1987 weltweit an fünfter Stelle. Nach dem SIPRI-Jahrbuch 1990 steht die Bundesrepublik Deutschland beim Export von schweren Waffen im Jahre 1989 weltweit an achter Stelle.

Welche Länder der Dritten Welt haben nach Ansicht der Bundesregierung die größten Märkte für Industrieanlagen der Rüstungsproduktion?

Die Bundesregierung befaßt sich nicht mit der Marktforschung für Absatzmöglichkeiten für Industrieanlagen zur Rüstungsproduktion.

Welche westlichen Länder haben dem Irak in den letzten fünf Jahren Industrieanlagen für die Rüstungsproduktion geliefert?

Der Bundesregierung liegen keine offiziellen Informationen über Beteiligungen aus westlichen Ländern an der Errichtung von Rüstungsproduktion im Irak vor.

Wenn der militärische Nutzen gelieferter Anlagetechnologie nicht ausgeschlossen wird, nicht ausgeschlossen werden kann: Warum argumentiert die Bundesregierung (z.B. wie im Fall Iraks in der Vergangenheit), daß die gelieferten Anlagen allesamt Anlagen für Zivilproduktion seien?

Die in der Frage enthaltene Behauptung, nach der die Bundesregierung angeblich argumentiert, „daß die gelieferten Anlagen allesamt Anlagen für Zivilproduktion seien“, ist unzutreffend. Vielmehr hat sie wiederholt auf die Fälle des illegalen Exports durch deutsche Firmen hingewiesen sowie auf die zahlreichen, großenteils von ihr veranlaßten Ermittlungsverfahren in diesem Bereich.

Wer überprüft z.B., ob die 2.500-Tonnen-Wasseraufbereitungsanlage für den Irak, die den Neustadter-Hafen in Bremen verlassen hat, auch eine Anlage für militärische Zwecke sein könnte?

Trifft es etwa nicht zu, daß die Giftgasfabriken Samarra ebenso wie die in Rabta „Wasseraufbereitungsanlagen“ benötigten?

Bei Waren der Ausfuhrliste prüft das Bundesamt für Wirtschaft, ob die beabsichtigte Ausfuhr im Zusammenhang mit militärischen Projekten stehen könnte und ob durch die beabsichtigte Ausfuhr die vom Außenwirtschaftsgesetz zu schützenden Belange gefährdet sein können.

Bei der Aus- und Durchfuhr prüfen die mit der Ausfuhrkontrolle befaßten Dienststellen der Bundeszollverwaltung die abzufertigenden Warensendungen und die vorzulegenden Papiere im Hinblick auf die Einhaltung der geltenden Aus- und Durchfuhrbeschränkungen unter anderem auf Übereinstimmung mit der erteilten Ausfuhrgenehmigung. In Zweifelsfällen fordern sie die Vorlage von weiteren Unterlagen, wie z.B. Negativbescheinigungen des Bundesamts für Wirtschaft, oder veranlassen die Überprüfung der Waren durch Sachverständige des Bundesamts für Wirtschaft.

Der in der Frage genannte konkrete Exportvorgang nach Irak ließ sich mangels genauerer Angaben nicht nachvollziehen.

War der Irak nach Meinung der Bundesregierung in hohem Maße auf die Technologiezulieferungen der bundesrepublikanischen Firmen angewiesen?

Die Frage läßt sich nicht allgemein beantworten. Der Irak verfügt teilweise über eigene technische und technologische Fertigkeiten. Der Irak hat seit Jahren intensive Wirtschaftsbeziehungen mit einer Reihe von westlichen Industrieländern sowie der Sowjetunion gepflegt. Insofern war es sicherlich nicht auf die Technologielieferungen von Firmen aus der Bundesrepublik Deutschland in hohem Maße angewiesen.

Trifft es zu, daß bundesdeutsche Firmen dem Irak bei der Entwicklung von militärischer Nukleartechnik, dem Bau von Raketen und der Herstellung von Giftgasen geholfen haben?

Trifft es zu, daß mehr als 100 (in Worten: einhundert) bundesdeutsche Firmen an der militärischen Aufrüstung des Iraks beteiligt waren?

Die Bundesregierung hat erst kürzlich in der Sitzung des Ausschusses für Wirtschaft des Deutschen Bundestags am 23.August 1990 ausführlich und in vertraulicher Form über die ihr vorliegenden Hinweise und Erkenntnissen über Beteiligungen deutscher Firmen an illegalen Waren- und Technologielieferungen berichtet. Sie ist wie in der Vergangenheit auch in Zukunft bereit, diese Informationen der parlamentarischen Gremien fortzuführen.

Ist der Bundesregierung bekannt, daß kürzlich im Irak eine von bundesdeutschen Firmen erbaute Kanonenfabrik fertiggestellt worden ist, die in Kürze ihre Produktion aufnimmt?

Der Bundesregierung ist bekannt, daß ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren gegen Verantwortliche von deutschen Firmen eingeleitet ist wegen des Verdachts, daß eine Schmiedeanlage ausgeführt wurde, die nicht zur zivilen Verwendung, sondern zur Herstellung von Kanonenrohren dienen sollte.

Welches EG—Land ist der bedeutendste Exporteur in den Irak?

Vor Inkrafttreten des von den Vereinten Nationen verhängten Handelsembargos war die Bundesrepublik Deutschland der bedeutendste Exporteur unter den EG-Ländern in den Irak.

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