: Fastenaktion von irakischen Oppositionellen
Berliner Exilirakis fordern Stopp des Bombardements auf die Zivilbevölkerung/ Keine Verbindung zum Irak möglich ■ Aus Berlin Andrea Böhm
Von einem solchen Medienaufgebot haben sie geträumt, als es noch nicht zu spät war. Mehrere Fernsehteams, Radio- und Zeitungsreporter haben sich im Sitzungssaal des Berliner Rathauses aufgebaut, um die Leute in Augenschein zu nehmen, die in den Medien bislang nicht vorkamen: irakische Oppositionelle. Und so bedankt sich Mohamed S., Exiliraker aus Bagdad, artig für „das große Interesse der Presse“, aber dann hält er mit seiner Verbitterung nicht mehr hinter dem Berg: „Ihr habt so lange geschwiegen, obwohl wir immer wieder auf die Verhältnisse im Irak hingewiesen haben.“
Seit dem 21. Januar beteiligen sich acht irakische Männer und Frauen, darunter Mitglieder der irakischen Studentenvereinigung, irakischer Frauengruppen und Einzelpersonen, nun an einer Fastenaktion. Die Grünen/Alternative Liste haben den Oppositionellen Räume und Pressematerial zur Verfügung gestellt. Von den Wänden des Sitzungssaales prangen auf notdürftig befestigten Transparenten die Forderungen: „Frieden und Demokratie für das irakische und kuwaitische Volk“, „Demokratie für den Irak, Autonomie für Kurdistan“.
Abzug des Iraks aus Kuwait, Abzug der alliierten Truppen aus der Golfregion, eine internationale Nahostkonferenz „und natürlich auch der sofortige Stopp der Bombardierung Israels“ — so liest sich der Forderungskatalog der irakischen Exilanten. An die KriegsgegnerInnen in Deutschland ergeht an diesem Vormittag vor laufenden Kameras mehrmals der fast flehentliche Appell, weiter zu demonstrieren; die Bonner Regierung, so fordert eine Irakerin, dürfe auf keinen Fall diesen Krieg unterstützen — weder durch Soldaten noch durch Geld. „Helfen Sie statt dessen den Flüchtlingen, die jetzt schon nach Jordanien, Syrien, in die Türkei und in den Iran strömen.“
Vor allem geht es den Berliner Exilanten aber darum, so Kamal, Vorsitzender der irakischen Studentenvereinigung in Berlin, „die Stimme der Opposition im Irak hörbar zu machen.“ Nichts ist für sie momentan schlimmer, als in den Medien ihr Volk als eine homogene Masse fanatischer Saddam Hussein- Anhänger präsentiert zu bekommen. 1,5 Millionen Exiliraker, eine breite kurdische Opposition im Irak, sowie mehrere Attentatsversuche auf Saddam Hussein, sind nach Auffassung der Berliner Oppositionellen Beweis genug für den Widerstand im In-und Ausland. Von den rund 700 IrakerInnen, die zur Zeit in Berlin leben, seien die meisten gegen Saddam eigestellt. Die dringlichste Forderung der Oppositionellen lautet denn auch: sofortiger Stopp der Bombardements auf die irakische Zivilbevölkerung. „Die Menschen sind die Opfer“, sagt Fatima H., die sich an der Fastenaktion beteiligt, „Saddam kann sich in den Bunkern verstecken, die der Westen ihm gebaut hat.“
Zwischen den notdürftig befestigten Transparenten im Pressezimmer hat Fatima Fotos ihrer Angehörigen in Bagdad aufgehängt. Die meisten der anwesenden JournalistInnen sehen auf den Bildern aus dem Familienalbum zum ersten Mal die Gesichter potentieller Bombenopfer im Irak. Erste Schätzungen von mehreren hunderttausend Toten, die am Vortag in der Presse genannt wurden, hält die Gruppe einhellig für untertrieben, ohne jedoch irgendwelche Angaben machen zu können. Jeder Kontakt in den Irak ist zur Zeit unmöglich. Die meisten der Exilanten haben, wenn überhaupt, kurz vor Kriegsausbruch, das letzte Mal mit Familienangehörigen telefonieren können.
Desinformation sind sie gewöhnt: Schon während des achtjährigen Krieges zwischen Iran und dem Irak duldete Saddam Hussein keine wahrheitsgetreue Information über Tote und Verletzte an der Front. Doch dieses Mal ist die Zensurpolitik und die, so Kamal, „unmenschliche Berichterstattung“ beider Kriegsparteien für die IrakerInnen im Ausland kaum noch zu ertragen. Manche haben sich — mehr aus Selbstschutz — statt der quälenden Ungewißheit eine quälende, vermeintliche Sicherheit auferlegt. „Ich weiß“, sagt Fatima, „daß von meiner Familie keiner mehr lebt.“
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