: Grüne Woche oder Wie kaufen wir Osteuropa?
■ Ernährungs- und Landwirtschaftsmesse will dazu beitragen, daß das wirtschaftliche Gefälle zu Osteuropa nicht zu »Unruhe« führt/ Golfkrieg soll Freßfreude nicht trüben/ Werbung für Obstanbau in neuen Bundesländern, obwohl die Regierung für jeden kahlgeschlagenen Hektar 8.000 Mark zahlt
Berlin. Wer sich heute oder an einem der kommenden 14 Tage zusammen mit den Besuchermassen der 56. Internationalen Grünen Woche durch die 25 Messehallen unter dem Funkturm schieben läßt, wird vor allem Opfer einer genialen Werbestrategie. Auf über 83.000 Quadratmetern — einer Fläche von über 14 Fußballfeldern — zeigt die Lebensmittel- und Landwirtschaftsindustrie die neuartigsten Genußwaren (von der Biowurst bis zur exotischsten Frucht) und die neusten Produktionsmittel (vom durchrationalisierten Stall bis zum modernsten Mähdrescher).
Die Tatsache aber, daß die Bauern und ihre Nutztiere — im wahrsten Sinne des Wortes — bis zum Hals in Gülle stecken, wird auf der Messe nur am Rande Thema sein. Die tapferen Ökoritter (Greenpeace, Stiftung Ökologischer Landbau, Tierschutzvereine, Domäne Dahlem u.a.) müssen sich wieder in einer der hintersten Ecken präsentieren (Halle 3).
Werbeschlacht auf über 14 Fußballfeldern
Warum die Kritiker einer umwelt- verzehrenden Landwirtschaft versteckt agieren müssen, erklärt Bundeslandwirtschaftsminister Ignaz Kiechle im Vorwort des Messekatalogs: »Ich wünsche den Besuchern eine ungetrübte [!] Freude am Erleben der Grünen Woche.« Auf Grund besagter ungestörter Freude reichte der Blick der Veranstalter offenbar auch nur bis in den allernächsten Osten — bis zum Nahen Osten blickten die Mitarbeiter der Ausstellungs- Messe-Kongreß-GmbH (AMK) jedenfalls nicht. Der Krieg am Persischen Golf wird dem Besucher vielleicht durch das Fehlen von zwei — ehemals angemeldeten — Ländern bewußt: Das Sultanat Oman und Jordanien kamen nicht zur Messe. Der Iran hatte bereits im vergangenen Jahr, der Irak bisher immer auf die Teilnahme verzichtet.
Einer der Schwerpunkte der Messe beschäftigt sich wie gesagt mit dem allernächsten Osten, weil »wir jetzt alle aktiv dazu beitragen müssen, daß die wirtschaftliche Diskrepanz zwischen den Industrieländern und jenen Regionen, die unserer Hilfe [!] bedürfen, nicht neue Unruhe hervorruft«, erklärt Kiechle.
FNL-Bauern zur privaten Initiative ermuntert
AMK-Chef Manfred Busche rückte auf der Eröffnungspressekonferenz Kiechles Wort der »Hilfe« ehrlicherweise in die Nähe des knallharten Geschäftemachens: »Die Marktchancen in Ost- und Mitteleuropa für Agrar- und Ernährungsgüter sind heute so gut wie nie zuvor.« Das große Fressen unterm Funkturm solle helfen, neue Handelskontakte zu knüpfen. Aber auch mit Blick auf die neuen Bundesländer komme der Grünen Woche eine besondere Bedeutung zu, erzählte Busche. Sie solle die Bauern zwischen Elbe und Oder zu mehr Privatinitiative ermuntern. Die neuen Bundesländer durften dann auch gleich auf der gestrigen Eröffnungsveranstaltung ihren Kulturkitsch vorführen: Fahnenschwinger, Erntewagen und dressierte Hengste.
In Halle 20 stellen 15 Bundesländer gemeinsam aus. Das Motto lautet »Essen aus Deutschland — ein grenzenloses Erlebnis«. Der deutsche Obstanbau an der Niederelbe, am Bodensee und im Havelland wird in Halle 9b und 9c abgefeiert. Kleine Pikanterie: Während unterm Funkturm für Äpfel aus Brandenburg geworben wird, ziehen gleichzeitig Regierungsvertreter durch das Havelland und überreden die Obstbauern, ihre Bäume abzuhacken. Für jeden kahlgeschlagenen Hektar bekommen sie 8.000 Mark.
Die Obstproduktion sei nach den EG-Richtlinien in der Bundesrepublik zu ertragreich, klärte Rudolf Schnieders vom Deutschen Bauernverband diesen Widerspruch auf. Er könne sich aber auch vorstellen, daß die Obstproduktion in Berlins Umland erhöht werden könnte. Allerdings müßten dann die Bauern anderer Obstanbaugebiete ihre Bäume fällen. Dirk Wildt
Internationale Grüne Woche vom 25.1. bis zum 3.2.; heute bis 13 Uhr für Fachbesucher, ansonsten täglich von 9 bis 18 Uhr. Tageskarte 12 DM (Schüler und Studenten 6 DM), Dauerkarte 36 DM, Katalog 10 DM. Bus 4, 10, 65, 69 und 94; U-Bahn Kaiserdamm und Theodor-Heuss-Platz; S-Bahn Westkreuz
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