: Harter Rubel in einer weichen UdSSR?
■ Brachiale Methoden bei der sowjetischen Währungsreform
Gegen Spekulation und Korruption soll sich der Präsidialerlaß Michail Gorbatschows richten, der zur größten Umrubelung in der Geschichte der UdSSR geführt hat. Große Mengen illegalen Geldes könnten so innerhalb von drei Tagen vernichtet werden, geht aus der offiziellen Begründung hervor. Diese Legitimation ist vorgeschoben, der informelle Sektor vom kleinen Schwarzmarkthändler bis zu den organisierten Banden ist damit kaum zu treffen.
Nicht nur, daß die Aktion offenbar miserabel vorbereitet wurde. Seit Wochen kursierten in den großen sowjetischen Städten Gerüchte, die gar davon wußten, welche Banknoten ausgetauscht werden sollten. Wer fix war, hatte sich spätestens zu Jahresbeginn mit seinen 50- oder 100-Rubel- Scheinen Waren oder Devisen besorgt und geht aus dem Umtausch vielleicht mit Verlusten, aber jedenfalls nicht geschlagen hervor — die Akkumulation beginnt alsbald von neuem. Und außerdem besteht ein großer Teil des informellen Sektors ohnehin aus Geschäften Ware gegen Ware oder Ware gegen Dollar. Bargeldbestände spielen nur eine untergeordnete Rolle. Die Strukturen, die die Spekulation und die Korruption erst ermöglichen, sind keinesfalls zerstört worden.
Die Legitimation ist nicht nur vorgeschoben, sie ist auch falsch. Anstelle der Spekulation ist hingegen der Rest des Rückhaltes, den Gorbatschow in der Bevölkerung noch hatte — wofern davon überhaupt noch die Rede sein konnte — zerstört worden. Daß reibungslos Bargeld-Bestände von mehreren Milliarden im westlichen Ausland vernichtet worden sind, dürfte weder innen- noch wirtschaftspolitisch eine größere Bedeutung haben. Und den Rentnerinnen in der Schlange ist dies schlichtweg egal.
Im Kern ist die Aktion jedoch eine reine Geldvernichtung ohne Ansehen der Eigentümer, im wesentlichen eine Maßnahme zur Bekämpfung der zurückgestauten Inflation. Im Prinzip unterscheidet sie sich nicht von der Umstellung der DDR- Konten am Tag der Währungsunion, nur ist sie ungleich — um ein Vielfaches — härter. Was in der DDR die überlegene D-Mark ermöglichte, was der polnischen Bevölkerung jahrelange exorbitante Inflationsraten beschert hat, das will der Präsidialerlaß innerhalb von drei Tagen bewirken; sogar 500 Tage sind dazu anscheinend viel zuviel.
Von der Schock-Therapie des Internationalen Währungfonds unterscheidet sich der Zwangsumtausch jedoch in vielerlei Hinsicht. Abgesehen davon, daß sich die Krisen, die von den IWF-Eingriffen verursacht werden, vergleichsweise langsam entwickeln, münden die brachialen Anpassungsprogramme wenigstens in der Theorie in eine stabilisierte Volkswirtschaft, in der die Zentralbanken die Haushaltsdefizite nicht mit neu gedrucktem Geld füllen dürfen. In der UdSSR hingegen besteht wenig Anlaß zur Hoffnung, daß der Notenpresse nun Einhalt geboten wird — selbst die tatsächliche Menge des umlaufenden Geldes ist, wenn sie überhaupt jemand kennt, geheim.
Vermutlich hat es den IWF-Experten, die die Sowjetunion besucht haben, zu Recht vor den Problemen gegraust, die eine Wirtschafts- und Währungsreform mit sich bringt. Den Kurs des Rubel nach den letzten verzweifelten Umtauschversuchen zu härten mag Gorbatschow durch seinen Erlaß gelingen. Die schlagartige Verringerung der Geldmenge um dreißig Prozent entspricht jedoch praktisch einem ebenso großen Inflationsstoß. Schocks in diesem Ausmaß haben in der Dritten Welt regelmäßig Aufstände, die sogenannten IWF- riots, verursacht.
So ist der wirtschaftliche Nutzen begrenzt, der politische Schaden aber enorm. Nicht einmal die Zeit wird die Wunden heilen, die vom Zwangsumtausch verursacht werden — schließlich werden sich die staatlichen Prüfungskommissionen, wenn sie erst einmal eingerichtet sind, über Monate mit den SowjetbürgerInnen beschäftigen müssen, bis der legale Besitz des letzten 100-Rubel-Scheins aus dem Sparstrumpf bestätigt ist. Und eines kann der Präsidialerlaß schon gar nicht garantieren: daß ein härter gewordener Rubel noch gegen die Aufweichung der Sowjetunion helfen könnte. Dietmar Bartz
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