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Waffenstillstand!

■ Feuerpause zur Vorbereitung einer Nahostkonferenz KOMMENTARE

Seit einer Woche ist nun der „Wüstensturm“ entfesselt. Die Hoffnung, den Krieg um Kuwait durch einen ganz schnellen Sieg der Allianz als lokal begrenzten Konflikt in wenigen Tagen beenden zu können, ist nach dieser Woche verflogen. Im Gegenteil, fast täglich mußten die anfänglichen Siegesmeldungen des amerikanischen Oberbefehlshabers relativiert werden. Französische Experten sind nun gar der Meinung, das militärische Potential Saddam Husseins sei nahezu vollständig intakt geblieben.

US-Präsident George Bush hat den Amerikanern und ihren Alliierten vor Beginn des Krieges versprochen, der Waffengang am Golf werde nicht zu einem neuen Vietnam. Dies war einer der Gründe, warum bereits im November letzten Jahres die Entscheidung zur Verdoppelung des US-Kontingents in Saudi-Arabien fiel, eine Entscheidung, die später im Kongreß als faktische Vorwegnahme der Entscheidung für die militärische Option heftig kritisiert wurde. Daß nun trotz des massiven militärischen Aufgebots der Anti-Irak-Koalition ein langer, blutiger Abnutzungskrieg mit hohen Opfern auf beiden Seiten droht, wird die Frage nach dem Sinn und der Legitimation des Krieges neu aufwerfen.

Im Prinzip gilt das Recht unabhängig von den Kosten des Krieges, der Zahl der Opfer. Wenn es denn rechtens ist, zur Durchsetzung des internationalen Rechts, d.h. zur „Befreiung Kuwaits“, im Auftrag [mit Duldung, d.K.] des UN-Sicherheitsrates gegen den irakischen Aggressor auch kriegerische Mittel einzusetzen — darf man dann notfalls auch Millionen Tote in Kauf nehmen? Alle sonstigen Kriegsziele, etwa die Zerstörung des militärischen Potentials Iraks oder die Sicherung der Ölressourcen, ob explizit formuliert oder implizit angesteuert, sind durch die UNO sowieso nicht gedeckt. Auch im juristischen Sinne gab und gibt es eine Verhältnismäßigkeit der Mittel, die, nachdem Bush einmal den Angriffsbefehl gegeben hat, durch die selbst geschaffenen Sachzwänge des Krieges in Vergessenheit zu geraten droht.

Dabei ist es jetzt, vor einer möglichen Ausweitung des Krieges, allerhöchste Zeit, die Frage neu zu stellen. Rechtfertigt die Rückeroberung Kuwaits einen neuen Nahost-Krieg? Und welche Probleme der Region werden durch einen Krieg wirklich gelöst? Zumindest gibt es weltweit eine weitgehende Übereinstimmung: Das eklatante Gefälle zwischen arm und reich ist ein Gefahrenherd für die gesamte Region; feudale Monarchien und diktatorische Militärregimes werden langfristig die Stabilität in der Region nicht garantieren können; und nicht zuletzt: die Unversehrtheit Israels ist auf die Dauer nicht militärisch, sondern nur auf der Basis einer politischen Befriedigung der Palästinenser und der Integration des Staates Israel in seine arabische Umgebung möglich.

Inzwischen wird der Krieg nicht mehr nur mit dem Ziel der Befreiung Kuwaits, sondern auch mit der Notwendigkeit der Verteidigung Israels rechtfertigt. Keine Frage — Israel ist durch den Irak angegriffen worden und damit klares Opfer einer klaren Aggression. Tatsächlich wußten natürlich alle Beteiligten, daß mit Beginn der militärischen Aktionen zur „Befreiung Kuwaits“ Saddam Hussein versuchen würde, Israel anzugreifen. Das Risiko war einkalkuliert und ging in die Abwägung Fortsetzung des Embargos oder Krieg mit ein. Wenn die Militärs gehofft hatten, die irakischen Raketen noch vor einem Angriff Saddam Hussein auf Israel ausschalten zu können, sind sie nun militärisch widerlegt, wurde das Risiko falsch eingeschätzt. Noch hat Israel darauf verzichtet, sich mit eigenen Waffen zur Wehr zu setzen, noch gibt es mithin die Chance, eine Ausweitung des Krieges durch einen Waffenstillstand zu verhindern.

Die Entscheidung von US-Präsident Bush, den Krieg „ohne Pause“ fortzusetzen, verletzt das Prinzip der Verhältnismäßigkeit der Mittel und läßt darauf schließen, daß das Kriegsziel im Weißen Haus mittlerweile die Zerstörung des Irak ist. Abgesehen davon, daß die UNO einen Krieg mit diesem Ziel nicht legitimiert hat, brächte ein militärischer Erfolg der antiirakischen Allianz die Probleme im Nahen Osten einer Lösung nicht näher. Schon jetzt ist absehbar, daß nach der Zerstörung des Irak andere regionale Mächte sich an dessen Stelle drängen und die Sicherheit Israels bedrohen werden. Erreicht wird vor allem eins: Der Haß der erneut gedemütigten Araber und Moslems auf den gesamten Westen wird über lange Jahre alle Dialogversuche überschatten. Jürgen Gottschlich

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