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Tristesse im Tanzpalast

■ Der Golfkrieg greift ins Berliner öffentliche Leben ein: Veranstaltungen werden abgesagt, in Diskotheken und Bars fehlen die Gäste, und viele verzichten auf die (Flug-)Reise nach Berlin

Beim Kostümverleih Luise Hinz, Charlottenburg, läuft »kaum noch was«. Seit Ausbruch des Krieges am Golf bleibt die ältere Dame auf Hunderten von Faschingskostümen, Smokings und Ballkleidern sitzen. Denn in Berlin wird zur Zeit ein »gesellschaftliches Ereignis« nach dem anderen abgesagt. Die Berliner Kaufleute und die Mediziner ließen ihre Bälle ausfallen. Der ADAC ließ seine Tanznacht platzen, der Präsident der TU den diesjährigen Neujahrsempfang, die Fluggesellschaft Japan Airlines verschob ihren Presseempfang anläßlich der Eröffnung ihres neuen Berliner Büros auf einen unbekannten Termin.

Auch die Karnevalsveranstaltungen fallen in diesem Jahr aus — für Luise Hinz und die anderen zehn Berliner Kostümverleiher war das bisher das Jahreshauptgeschäft. Seit 1932 residiert der Familienbetrieb schon in der Wilmersdorfer Straße — jetzt geht es zum erstenmal ans Eingemachte. »Wenn det so weiterjeht, kann ick bald dichtmachen!« klagt Frau Hinz — und die Charlottenburgerin ist bei weitem nicht die einzige, der der Golfkrieg einen Strich durch die Rechnung macht.

Hotels und Fluggesellschaften klagen über gravierende Buchungsrückgänge, Nightclubs und Bars über ausbleibende Besucher. Diskotheken und Konzertveranstalter, die bisher leere Tanzflächen oder nur halbgefüllte Säle nicht zu fürchten brauchten, melden empfindliche Einbußen und ausgefallene Konzerte. Insbesondere amerikanische Rockgruppen sagen immer häufiger ihre Auftritte ab. In vielen Berliner Kinos waren die Premierenvorstellungen am Donnerstag vor einer Woche »so schlecht besucht wie nie« — die meisten Menschen hockten um acht Uhr abends vor dem Fernseher und warteten ungeduldig auf die Tagesschau.

Wer in diesen Tagen Geburtstag hat, diskutiert mit Freunden und Bekannten, ob es angesichts eines möglicherweise bevorstehenden dritten Weltkrieges »überhaupt noch was zu feiern gibt«, in Wohngemeinschaften wird am Küchentisch die Frage debattiert, »ob wir statt der Demo heute mal nach Potsdam fahren dürfen, weil so schönes Wetter ist«. Die eigentliche Frage ist aber nicht, was man »darf«, sondern: Auf wieviel Vergnügen haben die Leute eigentlich noch Lust?

Auf ziemlich wenig, hat es den Anschein. Der Besitzer der Kreuzberger Szenedisko »Trash«, Ebby Ghorbani (37), mußte aus der nachlassenden Tanzwut bereits erste Konsequenzen ziehen. Sein Laden bleibt ab sofort von Sonntag bis Dienstag geschlossen, »weil sich das nicht mehr lohnt«. Auch an anderen Tagen sind in der letzten Zeit deutlich weniger Gäste gekommen. »Nach Kriegsausbruch saßen meine Stammkunden mit verweinten Augen an der Theke. Das gab's noch nie«, berichtet er. Die Tanzfläche sei verwaist, die Stimmung gespannt, die Gespräche drehten sich fast ausschließlich um den Golf, fügt die »Trash«-Dauerbesucherin Martina (23) hinzu.

Doch auf tiefe Depression trifft man nicht nur in der Oranienstraße. Auch in »Harrys New York Bar« im Grand Hotel Esplanade, wo sich in friedlicheren Zeiten Hotelgäste und Berlins feine und weniger feine Nachtschwärmer bei teuren Mixgetränken »Gute Nacht« oder »Kommste mit aufs Zimmer?« gesagt haben, war die Stimmung schon mal besser. »Unter der Woche weniger Publikum«, meldet Andreas Gorgi (25), Geschäftsführer des noblen Etablissements. Die Berliner Gäste kämen hauptsächlich am Wochenende. Da im Hotel — offenbar aus Angst vorm Fliegen — weniger Gäste von auswärts abstiegen, sei weniger los. Und diejenigen, die noch den Weg nach Berlin finden, versammelten sich regelmäßig zu den TV-Nachrichten vor dem Fernsehgerät im Foyer des Hotels.

Daß »weniger Leute unterwegs« sind, bestätigt auch der Chef des »Metropol‘« Jaques Ihle. Darüber hinaus hätten gerade zwei US-Rockgruppen ihre Europatournee gecancelt; ob aus Angst vor Terrorakten, weiß er nicht genau. Ihle hofft darauf, daß die Zurückhaltung potentieller Kunden bald zu Ende ist, denn: »Das Leben geht weiter!« Und er fügt hinzu, daß das Geschäft schon mal schlechter war — als die Mauer aufging nämlich.

Einen Rückgang der Besucherzahlen um die Hälfte verzeichnen auch die Mitarbeiter des Sex-Nightclubs »New Eden« am Ku'damm. Auf diesen Laden, der sogenannte »Erotik-Shows« im Programm hat, haben zur Zeit offenbar nicht mal Berlin-Touristen Lust. Auch hier setzt die Belegschaft auf den Gewöhnungseffekt. »Irgendwann wollen die Leute auch mal wieder was anderes sehen als Raketenangriffe«, meint der Boß des Ladens, dem die Fernsehsucht des Volkes ziemlich auf die Nerven und die Bilanzahlen geht. Auch die im Volksmund als »Teeni-Befruchtungsschuppen« gehandelte Ku'damm-Disko »Big Eden« hat Probleme. Nicht jedoch unmittelbar wegen des Krieges, sondern wegen der »dauernden Demos hier«, meint ein Kellner. Wenn auf Berlins Nobelmeile protestiert werde, blieben die Touristen weg.

Doch der Trend »Keine Party wg. Golf« schlägt auch schnell mal ins Gegenteil um — nach dem Motto: Immer lustig und vergnügt, bis der Arsch im Sarge liegt! Das Zoo-Palast-Kino platzte in der vergangenen Woche aus allen Nähten, als die Betreiber nach einem Musikfilm eine »Houseparty« veranstalteten. Rund tausend Partywütige begehrten Einlaß, bis drei Uhr morgens hätte der Bär getobt, erinnert sich Kinogeschäftsführer Thomas Schulz (28). »Wir wollten die Sache wegen des Golfkriegs eigentlich absagen, hatten aber schon zuviel Karten verkauft«, meint er weiter. Er hätte sich wegen der großen Nachfrage schon gewundert. Aber in Jerusalem und Tel Aviv gebe es ja auch »Weltuntergangspartys«. CC Malzahn

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