: Vergreister Wilder
■ Iggy Pop in der Neuen Welt
Am Morgen im Radio hatte Iggy Pop nur noch von seiner Angst zu sterben geredet. Und eigentlich hatte er nicht kommen wollen aus Angst vor Bomben im Flugzeug und kam dann doch. Seine lustige Jugendzeit ist vorbei; vorbei die Zeit, als er während des Vietnamkriegs sich auf der Bühne kasteite und die gelegentlich in Naziuniformen gekleideten »Stooges« mit Search and destroy autonome Parolen illustrierten. 43 Jahre alt ist der Punkheld der ersten Stunde inzwischen, der vor 13 Jahren anläßlich seiner ersten Pop- und nicht mehr Punkplatte von einigen Independent- Musikmagazinen für tot und nichtig erklärt worden war, noch zwei weitere Popplatten von Bowie produzieren ließ, Anfang der achtziger Jahre mit Zombie Birdhouse einmal modern, depressiv und rhythmisch war. Seitdem zehrt er als Altrocker, etwas trauriger vielleicht als Paul Mc Cartney, hausbacken, drogenentseucht, nichtrauchend und angeblich auch noch vegetarisch von seiner Legende. Wie Herman Brood ist er zumindest einmal im Jahr in Berlin anzutreffen. Sein Publikum — zwischen zwanzig und fünfzig — altert mit ihm und bringt inzwischen auch die Kinder mit.
Voller Katastrophensehnsucht und seltsamerweise ohne die US- Truppen anzufeuern, zieht der einstige Reaganverehrer schon beim zweiten Stück das Hemdchen aus, um yuppieporno- oder jeanswerbegemäß mit nacktem Oberkörper, gürtellos, mit neckisch geöffnetem Reißverschlußknopf unkontrolliert über die Bühne zu zucken, komisch mit den Armen zu rudern und zu wedeln, alte Stoogestitel und neue MTV-Hits zu trällern. You have been dirt — I don't care.
Brodelte hinter dem dissonantnihilistischen Lärm und Krach der alten Hits auch noch im Selbstzerstörungsdrang ein Dennoch und Trotz alledem, geht dieser Rest an positiver Selbstbehauptung im Verwechselbaren einer sauberen Hard-Core-Begleitmusik mit durchgehend konventionell und langweiligen Baßlinien und klirrenden Höhen unter und verschwindet. Aus Lust for Live wird das ewig peinliche I'm the wild one der Greise; und Frühvergreiste verkünden, daß es zwei Dinge gibt, die die Welt regieren: money and sex. Öl hat er vergessen, denn oil is the cause of war and the price of war und deshalb sei es nicht verwunderlich, daß Öl auch Kriegswaffe wäre, meinte ein amerikanischer Politiker, der den Kriegsverlauf ansonsten ganz positiv beurteilt, gestern nacht im Fernsehen.
Iggy Pop ist »leer geworden und vielleicht zum kindischen Alterchen, und man gibt ihm nur noch ein Breichen, daß er's essen soll oder die Kinder lausen oder mit einer Knallbüchse auf Krähen und Dohlen knallen an einem sommerlichen Tage! [...] Doch er, der diese seine Ohnmacht spürte, wollte sie in sich ermorden [...] um zum blutigen schweren Greis zu werden, und als Greis wollte er Ensetzen und Furcht erwecken.« (Gombrowicz, Transatlantik) Detlef Kuhlbrodt
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