Empfängnishilfe

■ »Back With A Bang!« von PVC und »Who napped J.B.?« von Blechreiz BERLINER PLATTENTIPS

Da saßen sie also jahrelang vor der Glotze und sahen sich jede verfügbare Musiksendung und bis ins Morgengrauen hinein MTV an. Betrachteten Tina Turner und die Stones, Little Feat und überhaupt den ganzen Alte-Fürze-stinken- nicht-Reunions-Taumel, und dachten sich, was die können, können wir schon lange.

Diese Geschichte verschweigt der Waschzettel und behauptet statt dessen, die ältlichen Herren von PVC wären »mit anderen Projekten beschäftigt« gewesen. Außerdem steht da noch, »sie waren die ersten, die härtesten und die lautesten«, was Punk in Deutschland anging, und daraus kann man schon ersehen, was vom Wahrheitsgehalt von Promotiontexten zu halten ist.

Den größten Tumult schlugen PVC, als sie sich mit Bel Ami um die Rechte ihres ersten und einzigen Hits schlugen. Beide Bands behaupteten Berlin By Night (englisch in der PVC-Version) bzw. Berlin bei Nacht (deutsch bei Bel Ami) sei ursprünglich von ihnen. Der Streit sorgte immerhin dafür, daß die einen wie die anderen über Gebühr beachtet wurden.

Ich persönlich fand Bel Ami schon immer besser, weil sie programmatisch zu ihrem Proletentum standen, während PVC krampfhaft versuchten, dies abzulegen, sich mit Leder und Nieten tarnten, um auf den gerade anrollenden Punk- Zug aufzuspringen und dabei vergaßen, die Schnurbärte abzurasieren.

Fast zehn Jahre nach dem wohlverdienten Ende kommt der ohnehin unsägliche und im Moment übermotorische Bela B., immer noch nicht genesen von den Folgeschäden seines Ruhmes als Teenie-Arzt, dann auf die Idee, die angestaubten Greise abzufeudeln. Er nahm mit ihnen zusammen eine Maxi auf und singt auf der aktuellen Mini-LP Back With A Bang! (Hit & Run, EFA) Background bei der Nauabmischung eines alten Songs namens Wallcity Rock. Auch Berlin By Night ist noch einmal drauf und immer noch ihr bester Song.

PVC sind immer noch genauso dumpfer Pub- Rock (heißt inzwischen Hard-Rock) wie damals, nicht besser, aber halt auch zehn Jahre schlechter. Jedes Wort mehr ist eines zuviel. Thomas Winkler

Vor etwas mehr als zehn Jahren, als in England das erste Skarevival ausgerufen wurde und auch kontinental bis in die hiesigen ländlichen Gemeinden herüberschwappte, war Punk einer der maßgeblichen Auslöser. Das Stilgemisch aus Reggae, Calypso und Rhythm & Blues, das ursprünglich eher den gemütlichen Charme karibischer Tanzgelage versprühte, wurde in der Geschwindigkeit zu einer ruppigen Polka zugespitzt. Auf der Tanzfläche trafen sich Pogo und Doc Martens-Beat, was entsprechende Gruppierungen (Linksbesetzer und rechte Skintrupps) auf der gleichen Wellenlänge hart aneinandergeraten ließ. Die Wogen haben sich auch 1991 noch nicht geglättet, doch Blechreiz, achtförmige Skaformation aus Berlin, stellen zumindest die Fronten klar: »Blechreiz sympathisiert mit antirassistischen und antifaschistischen Skinheads und Rudeboys und -girls, und wir stehen zum weltweiten S.H.A.R.P.-Movement (SkinHeads Against Racial Prejudice = Skinheads gegen Rassismus)« Das Bandinfo zur aktuellen LP läßt keine Zweifel an der politischen Stoßrichtung. Nicht kämpfen — tanzen, so soll es sein.

Mit Who napped J.B.? (Rude Records) legen sie eine Platte vor, die hält, was sie als letztes verspricht. Die zehn »wohltemperierten« Songs lassen selbst das ungelenkteste Sandbein trippeln und tänzeln. Das war live im summer of Ska 88 noch im Blockshock und anderswo schweißtreibend zu genießen. Oder eben im Hier und Jetzt der aktuellen LP.

Wie keine andere Band verströmen Blechreiz auch in Form der Tonkonserve gebündelt die Energie eines wimmelnden musikalischen Haufens, der sein Publikum von allen Enden aus tanzwütig attackiert. Da kreisen surrend Bläsersätze um die Ohren, bis sich der Kopf mitdreht (Bumble Bee oder Trumpet Story), oder das Schlagzeug reitet im Galopp über ukrainische Felder und ein trinkfreudiger Chor gibt dazu ein herzhaftes Soljanka zum besten. Es hätte auch ein tiefengroovendes Soulfinger ertönen können, wie bei den Bar Keys. Denn Blechreiz besitzen im richtigen Augenblick den Funken Soul, der sie von den hiesigen verbleit-bleichen Fichtennadelwäldern flugs in farbige Gefilde zurückentführt. Zum Beispiel, wenn Sänger M. Renner mit einer gehörigen Portion Schmalz und Parodie das Herz anrührt und von 16 Pets singt: dem Kleintierzoo der Geliebten, der nicht tonnenschwer lastet, aber für die Liebe lästig werden wird. (»Bind' den Berhardiner an/damit er mich nicht beißen kann«, sangen die wissenden Hoffmann & Hoffmann schon hitverdächtig in den siebziger Jahren). Aus dieser Zeit haben sich die Berliner Anteile am Gadda- Da-Via der Iron Butterfly gesichert und für ein umfassendes Menü mitverwurstet (»Return of the 70's«). Mit solcherlei Zitaten wird die Platte zu einem deftig-würzigen Eintopf, den man sich am besten gleich mit Bier und Schnaps hinunterspült und danach direkt auf dem Tanzboden abarbeitet. Und dafür ist der Ska von Blechreiz der sicherste Garant. Gut recycled. Harald Fricke