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Familiäre Schlittenfahrten

Die rodelnde Großfamilie Huber aus Südtirol drückte den Weltmeisterschaften in Winterberg ihren Stempel auf/ Hubers Arnold wurde Champion, Georg Hackl aus Berchtesgaden gewann Silber  ■ Von Torsten Haselbauer

Winterberg (taz) — Er hat nicht gewonnen, der Hackl Schorsch, einfach unfaßbar! Von der Rennrodelweltmeisterschaft im sauerländischen Winterberg ist diese Tatsache vielleicht das Außergewöhnlichste, was es zu berichten gibt. Schließlich hat der populäre Eiskanalflitzer seit drei Jahren kein wichtiges Rennen mehr verloren. Vor einer Woche noch deklassierte der Schorsch aus Bayern im Rahmen der WM-Generalprobe in Winterberg sämtliche Mitstreiter um mehrere hundertstel Sekunden. Lächerlich, denkt da ein jeder, aber für die notorischen Zeitfetischisten aus der Rodlergilde bedeuten solch aberwitzige Einheiten bereits die halbe Welt.

Am Samstag betrug der Abstand des zweitplazierten Hackl gegenüber dem neuen Weltmeister Arnold Huber letzendlich ganze viertausendstel Sekunden. Schlaue Menschen rechnen so etwas schnell in Längenmaße um. Ziemlich genau zwölf Zentimeter soll der Südtiroler nach zwei Läufen die Ziellinie eher überrodelt haben. Höchstwahrscheinlich war Arnold Huber auf der „Autobahn“, wie die künstliche Eisrinne in Winterberg genannt wird, beim Suchen im Nebel nur um ein paar wenige Feinheiten glücklicher als der Leithammel der deutschen Rodler. Erklären kann so etwas ohnehin niemand.

Verständlicherweise plauderte Arnold Huber auf der anschließenden Pressekonferenz dann auch lieber von seiner Familie als von seinem Schlitten. Geradezu Erstaunliches bekamen die geduldigen BeobachterInnen zu hören. Erstens, allein sieben Geschwister hat der dreiundzwanzigjährige Arnold. Und zweitens, alle sitzen oder saßen auf dem Rennschlitten. Bruder Norbert, drei Jahre älter als Arnold, fuhr im Herreneinsitzer immerhin als Sechster ins Ziel, zusammen mit Hans-Jörg Raffl war er gut genug für Bronze im Zweier. Der zwanzigjährige Günther schnitt mit Kurt Brugger nicht ganz so erfolgreich ab, die beiden belegten den vierten Platz.

Er sollte sich ein Beispiel an dem fünfundzwanzigjährigen Bruder Günther nehmen, der bei der Zweierbob-Europameisterschaft Dritter wurde. Der Benjamin der Hubers heißt Dietmar und ist dreizehn. Natürlich sinnt auch er ernsthaft darüber nach, sich sportlich als Schlitten- oder Bobfahrer zu betätigen.

Zu der mannigfachen Anhäufung von Rodelburschen gesellen sich zwei weibliche Geschwister hinzu. Heidi und Ingrid können sich indes „das Rodeln nicht mehr leisten, nachdem sie einen Friseurladen aufgemacht haben“, gesteht Arnold gegenüber den ohnehin schon reichlich verwirrten und übertölpelten JournalistInnen ein.

Was so heiter anfing, ging, wenngleich auch etwas plump, in eine Politveranstaltung über. Nun stehen die Rodler gemeinhin nicht in dem Verdacht zu politisieren oder gar zu agitieren. Nur diesmal konnten sie sich nicht drücken. Hintergrund ist die Tatsache, daß das beschauliche Dorf Winterberg immer dann für Weltcup und Weltmeisterschaften einspringt, wenn in den vormals sozialistischen Ländern die BürgerInnen kräftig auf die Pauke hauen. 1982 übernahmen die in dieser Hinsicht eifrigen Sauerländer die Europameisterschaft aus dem Polen unter Kriegsrecht, im letzten Jahr ein Weltcuprennen aus Sarajewo, Jugoslawien. Jetzt sollte die Rodel-WM ursprünglich in der lettischen Stadt Sigulda über die Bühne gehen. Die Verhältnisse im Baltikum ließen es aber aufgrund von Sicherheitsbedenken nicht dazu kommen. Abermals griff Winterberg zu und gestattete dafür dem lettischen Organisationskomitee, zwischen der Entscheidung von Herrenein- und -zweisitzer eine Art politischen Nachhilfeunterricht für SportjournalistInnen einzuschieben.

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