: „Dialog mit Gasmaske läuft kaum“
■ Alisa Fuss von der Internationalen Liga für Menschenrechte über die Folgen des Golfkriegs für die israelisch-palästinensische Verständigung INTERVIEW
In den Kontroversen um den Golfkrieg kommen Jüdinnen und Juden, die sich der israelischen Friedensbewegung zurechnen, bisher kaum zu Wort. Eine von ihnen ist Alisa Fuss, Vizepräsidentin der Internationalen Liga für Menschenrechte. 1935 rettete sie sich aus Deutschland nach Israel, 1976 emigrierte sie von dort in die BRD. Alisa Fuss lebt in Berlin. Sie ist Mitinitiatorin eines israelisch-palästinensischen Dialogs und Verfechterin eines unabhängigen palästinensischen Staates.
taz: Seit dem irakischen Angriff auf Israel sieht es so aus, als ob jüdische Menschen weltweit geschlossen hinter diesem Krieg stehen. Gibt es auch andere Stimmen?
Alisa Fuss: Es gibt überall Juden und Jüdinnen, die in diesem Krieg keine Verteidigung Israels sehen und das UNO-Ultimatum nicht als Freibrief für einen Schießbefehl ausgelegt haben wollten. Ich war bis Anfang Januar in Israel. Damals hat die Bevölkerung, anders als die Regierung, vor einem Krieg gezittert und gehofft, daß er nicht ausbricht. Es war vielen klar, daß selbst ein militärischer Sieg über Saddam Hussein die Bedrohung für Israel nicht verringert. Denn die umliegenden arabischen Länder, die alle hochgerüstet sind, werden diese Schmach nicht hinnehmen, sondern weiter gegen Israel Front machen. Seit Kriegsbeginn haben sich diese Einsichten aber auf ein Minimum reduziert.
Inzwischen werden Proteste gegen den Krieg, vor allem, wenn sie von der deutschen Friedensbewegung kommen, als antiisraelisch oder gar antisemitisch verdammt.
Amerika hat wissentlich in Kauf genommen, daß nach einer Attacke auf den Irak Israel das erste Angriffsziel wird. Israel ist nun schwerstens bedroht. Daher erhofft man sich dort von den USA Schutz. Jede Kritik an den Amerikanern wird als Infragestellung der eigenen Existenzberechtigung betrachtet. In Israel wird durch die Medien gezielt der Eindruck erweckt, daß die deutsche Friedensbewegung nur antiamerikanische und antiisraelische Parolen kennt. Das paßt der offiziellen israelischen Seite gut ins Bild, daß die Deutschen offensichtlich nichts zum Schutze Israels tun wollen. Nach den geschichtlichen Erfahrungen mit Deutschland sind die Leute schnell bereit, dies als Antisemitismus zu interpretieren. Meine Freundinnen aus der israelischen Friedensbewegung haben mich deswegen gebeten, ihnen Material zu schicken, das die wachsende Überzeugung widerlegen soll, in Deutschland gingen die Leute für Saddam Hussein auf die Straße.
Das meinen inzwischen auch Kreise, die bisher nicht als Sprachrohr der israelischen Regierung galten. Der Publizist Henryk Broder zum Beispiel hat eine „funktionelle Zusammenarbeit“ zwischen der bundesdeutschen Friedensbewegung und den Giftgaslieferanten ausgemacht.
Broder will wie immer provozieren. Ich nehme ihm nicht ab, daß er nicht weiß, daß dies eine infame Unterstellung ist. Wir von der Friedensbewegung und viele andere waren die ersten, die gegen Saddam Hussein demonstriert haben, als er die Kurden mit Giftgas ermorden ließ. Wir waren es auch, die seit vielen Jahren gegen die Waffenexporte protestierten. Das weiß auch Broder sehr genau.
Während die PalästinenserInnen zunehmend ihre Hoffnungen auf Saddam Hussein setzen, greift die Parteinahme für den Krieg gegen den irakischen Diktator auf große Teile der israelischen — und europäischen — Linken über. Geraten da Positionen wie Ihre nicht völlig ins Abseits?
Natürlich sind wir eine Minderheit. Ich bekomme jetzt öfter Anrufe, die mir vorwerfen, ich verrate die Interessen Israels.
Sind Sie auch schon als Anhängerin von Saddam Hussein beschimpft worden?
Nein, bisher noch nicht. Außerdem wäre ein solcher Vorwurf absurd, weil ich immer betont habe, daß Saddam Hussein die Opposition im eigenen Land umbringen und PLO-Leute verhaften ließ. Ich habe immer gesagt, daß Saddam Hussein der letzte ist, der als Befreier von Palästina auftreten kann. Die politische Linie, die die PLO seit mehr als zwei Jahren in Richtung Friedensverhandlungen eingeschlagen hat — und die weder von den USA noch von der israelischen Regierung honoriert wurde — ist in die Sackgasse geraten. Trotzdem bin ich fest überzeugt, daß die PLO einen fatalen Kurs auch für ihr eigenes Volk gefahren ist, indem sie ihre Hoffnungen auf diesen Mann gesetzt hat.
Ist ein Dialog mit den PalästinenserInnen überhaupt noch möglich?
Im Krieg ist zunächst alles paralysiert, und einen Dialog mit der Gasmaske zu führen, ist sehr schwierig, vor allem, wenn nur eine Seite Gasmasken hat. Auch gute und tapfere Kämpfer aus der israelischen Friedensbewegung setzen jetzt zum größten Teil auf den nationalen Konsens: Zusammenhalten, das Volk ist in Gefahr. Die Rechte der Palästinenser sind jetzt kein Thema mehr. Die einzige Frage lautet: Wie überlebt Israel den Krieg?
Auch die Palästinenser können im Moment nichts tun. In den besetzten Gebieten herrscht Ausnahmezustand. Außerdem sind sie in großer Sorge, wie übrigens auch die israelische Friedensbewegung, daß man sie im Schatten des Krieges nach Jordanien „transferiert“, wie es offiziell heißt. Noch ist das eine Horrorvision. Sollte sie jedoch in die Tat umgesetzt werden, könnte das der israelischen Friedensbewegung einen neuen Aufschwung geben. Im Moment kann ich nur sagen: Alles was wir an gemeinsamen Strukturen mühsam aufgebaut haben, ist durch den Krieg den Bach hinunter.
Rettungslos?
Ich hoffe natürlich, daß sich einiges wieder beleben wird. Ich denke da in erster Linie an die „Frauen in Schwarz“ [eine breite Einpunktallianz jüdisch-israelischer Frauen, die sich gegen die Besetzung der Westbank und des Gazastreifens — A.d.R.], die seit Beginn der Intifada jeden Freitag zu Hunderten gegen die Okkupation demonstriert haben. Vergangenen Freitag sind sie zum ersten Mal zu Hause geblieben. Verständlicherweise. Wahrscheinlich hätte man die Frauen, die bereits vor dem Krieg häufig angefeindet wurden, verprügelt oder ihnen noch Schlimmeres angetan. Keiner hätte sie geschützt, sie wären als Verräterinnen gebrandmarkt worden. Der Krieg macht es notwendig, daß die Frauen gemeinsam eine neue Formel finden, denn mit dem Nein zur Okkupation ist es jetzt nicht mehr getan. Das wird schwierig, denn bei den „Frauen in Schwarz“ sind die verschiedensten politischen und religiösen Standpunkte vertreten.
Können Sie in Israel mit Ihrer Meinung an die Öffentlichkeit gehen?
Leicht ist das nicht. Zunächst will ich Fotos und Zeitungsausschnitte nach Israel schicken, die zeigen, daß hier auch gegen Saddam Hussein und für Israel demonstriert wird. Außerdem will ich mit einer Gruppe von Leuten Anzeigen in israelischen Zeitungen aufgeben, die über die wahren Ziele der Friedensbewegung aufklären. Und wir hoffen auf Interviews mit israelischen Zeitungen, in denen wir klarmachen können, warum wir gegen diesen Krieg sind.
Aber was halten Sie Ihren Landsleuten in Israel entgegen, die sagen: Wir wollen unser Volk nicht noch einmal ohne Widerstand vernichten lassen?
[Lange Pause] Darauf kann ich nur politisch antworten. Wir könnten anders dastehen, wenn wir Friedensangebote angenommen und verhandelt hätten. Die Palästinenser hätten nicht auf Saddam Hussein als Retter setzen müssen, wenn sie einen eigenen Staat bekommen hätten. Diese Kritik an der israelischen Politik hat mit antisemitischer Propaganda nichts zu tun. Denn sie ist immer zuerst von den Juden im eigenen Land oder von besorgten Juden anderswo in der Welt ausgesprochen worden. Die israelische Friedensbewegung und die palästinensisch-israelische Frauenkonferenz Ende Dezember hat alles versucht, um diesen Krieg zu verhindern. Vorher schien eine friedliche Lösung der israelisch-palästinensischen Frage zumindest möglich. Jetzt hat der Krieg diese Option vernichtet. Jetzt rächt sich die falsche Politik. Interview: Ulrike Helwerth/ Rose Gauger
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