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Kroatische Regierung läßt Stärke demonstrieren

Kompromiß in Belgrad: Militärintervention fällt aus, kroatische Milizen werden demobilisiert/ Serbische Minderheit unter Druck  ■ Aus Zagreb Roland Hofwiler

Smog liegt über der Stadt. Aber zu Zehntausenden strömen die Zagreber auf den zentralen Jelacic-Platz und bekunden: „Wir sind Kroaten“. Wenngleich an diesem Samstag nachmittag die Gefahr einer Militärintervention in der Republik gebannt schien, läßt die kroatische Führung unter Franjo Tudjman noch einmal Stärke demonstrieren. Denn am Vortag war in einer dramatischen Sitzung des jugoslawischen Staatspräsidiums ein Kompromiß gefunden worden, der von Tudjman als eigener Erfolg ausgegeben wird: Die jugoslawische Armee wird in Kroatien nicht eingreifen, im Gegenzug verpflichtet sich die kroatische Führung, ihre Reserveinheiten der Republikmilizen zu demobilisieren.

So feierte sich die regierende „Kroatische Demokratische Gemeinschaft“ als Retter. Tudjman- Stellvertreter Stipe Mesic rief vor den Anhängern aus: „Wir zeigen mit dieser machtvollen Versammlung denen in Belgrad, daß kroatische Politik nicht dort, sondern hier in Zagreb gemacht wird.“ Langanhaltender Beifall und Zwischenrufe belohnten ihn: „Kroatien ist unser“, „Armee und Serben, das ist das gleiche“, „Wir wollen frei sein und ohne serbische Vormundschaft“. Vereinzelte Zwischenrufer wurden schärfer: „Raus mit den Serben, Kroatien den Kroaten“ und im Chor: „Kroatien muß ein freier Staat werden“.

Als sich bei Einbruch der Dunkelheit die Massen zerstreuten und in den zentralen Kaffeehäusern und Kneipen lebhafte Diskussionen begannen, ging es um die „Hauptschuldigen“ an der seit Wochen explosiven Situation. Viele hielten ihre Aggressionen gegen die 600.000 Menschen zählende serbische Minderheit nicht zurück. Wird diese Minderheit ähnlich wie die Russen in Litauen den „militärischen Beistand“ herbeirufen? Wird die Armee sich an die Abmachung halten?

Zweifel erregte ein Film, der im jugoslawischen Fernsehen ausgestrahlt worden war. In diesem Film wurden „heimlich gefilmte“ Gespräche zwischen dem kroatischen Innenminister Martin Spegelj und Verteidigungsminister Josip Boljkovac und Angehörigen einer kroatischen Sondereinheit gezeigt. Darin war von der „physischen Liquidierung“ der Personen auf einer „schwarzen Liste“ die Rede. Spegelj kündigte an, aus dem von Serben bewohnten Knin „Hackfleisch“ zu machen. Die kroatische Regierung bezeichnete das Filmmaterial als Fälschung, zeigte sich aber bereit, den Film mit entsprechenden Korrekturen im kroatischen Fernsehen, wo er bisher nicht zu sehen war, zeigen zu lassen.

Die ganze Affäre ist peinlich für die kroatischen Nationalisten. So ist es kein Wunder, daß in den Kaffeehäusern gemunkelt wird, Tudjman werde Spegelj in den nächsten Tagen opfern. Denn hinter dem Rücken von Tudjman habe er tatsächlich eigene „Militärspiele“ ausgeheckt. Zur Provokation? Aus Übereifer? Die Fragen bleiben ohne Antwort.

Am Sonntag herrschten Stille und dichter Smognebel über der Landeshauptstadt Zagreb. Dagegen sind die Serben in Knin in helle Aufregung versetzt angesichts der Drohungen, die in dem Film ausgesprochen werden. Viele Familien haben sich schon zur Flucht nach Serbien entschlossen. Slobodan Milosevic, Präsident und Parteichef Serbiens in einer Person, traf sich am Freitag mit dem slowenischen Präsidenten Milan Kucan. Die war um so überraschender, als bisher die slowenisch-kroatische Allianz unverbrüchlich schien. Doch angesichts des Skandals scheint jetzt der slowenische Präsident Kucan bereit, mit Serbien zu einer Übereinkunft zu gelangen. Serbien solle die Souveränität Sloweniens anerkennen, im Gegenzug könnten die Slowenen die serbischen Ansprüche auf das in Kroatien liegende Knin anerkennen — so könnte der Kuhhandel aussehen.

Sind die Kroaten zwischen die politischen Mühlsteine geraten? Am heutigen Montag werden alle Spitzenpolitiker Jugoslawiens zu einer erneuten Geheimkonferenz zusammenkommen, um gemeinsam mit den Armeespitzen über die Zukunft Jugoslawiens zu beraten. Trost für Kroatien ist, daß die USA und Großbritannien Belgrad vor einer Intervention in Kroatien gewarnt haben.

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