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Aufschwung für US-Antikriegsbewegung

■ Mindestens 350.000 Menschen demonstrierten am Samstag in verschiedenen Städten/ Vietnam brachte erst nach Jahren so viele Menschen auf die Straße/ Intensive Lobbyarbeit

„Diese Fahne ist kein Symbol von Ruhm und Stolz, sondern ausschließlich von tiefer Trauer. Damals habe ich das nur noch nicht verstanden.“ Jane Howard war noch keine 20 und gerade vier Monate verheiratet, als der Pentagonbeamte im März 1971 an ihre Tür klopfte und die Nachricht vom Tod ihres Mannes im vietnamesischen Dschungel überbrachte — zusammen mit der gefalteten US- Flagge, die sie am letzten Samstag den knapp 200.000 Antikriegsdemonstranten auf dem Rasen hinter dem Weißen Haus entgegenhielt. „Ich will nicht, daß jetzt Tausende Frauen in diesem Land dieselbe Erfahrung machen. Holt unsere Männer nach Hause!“ In diesem Moment schweigen selbst die rund 500 Menschen, die hinter einem Polizeizaun seit Stunden ihre Unterstützung für die „Operation Desert Storm“ herausbrüllen — unter ihnen auffällig viele junge Frauen. Sie verstummen auch, als Andrew Klein, einer von über 3.000 Vietnam-Kriegsveteranen unter den FriedensdemonstrantInnen die Frage stellt: „Ist Amerika vorbereitet auf die Versorgung chemiewaffenverseuchter GIs, wo doch bis heute die Opfer der Agent-Orange-Einsätze unversorgt sind?“

Die US-Friedensbewegung betont an diesem Samstag noch stärker als bei den Demonstrationen eine Woche zuvor die patriotische Seite ihres Anliegens — angesichts der gigantischen Manipulation der öffentlichen Meinung in diesem Land die einzige Chance, mehrheitsfähig zu werden: „Wir lieben unsere Männer und Frauen am Golf so sehr, daß wir sie alle so schnell wie möglich lebend und unverletzt zurückhaben möchten“, steht auf einem großen Plakat. Dieselbe Botschaft in San Francisco, wo knapp 100.000 Menschen auf die Straße gehen, sowie bei kleineren Kundgebungen in vielen anderen Städten. Insgesamt demonstrieren landesweit mindestens 350.000 Menschen gegen den Golfkrieg — und das schon zehn Tage nach seinem Beginn. Das sind die größten Antikriegsaktionen seit der Bewegung gegen den Vietnamkrieg, die ähnliche Zahlen erst Jahre nach Kriegsbeginn auf die Beine brachte. Zwar überwiegen noch die Aktivisten und Angehörige der jungen Generation. Doch schon im Vergleich zum vorletzten Samstag repräsentierten die DemonstrantInnen schon mehr „Cross Country America“, wie die 'Washington Post‘ und 'New York Times‘ in ihren Sonntagausgaben übereinstimmend feststellen.

„Sofortiger Waffenstillstand“ und „Wiederaufnahme von Verhandlungen" lautet die Tagesforderung der Friedensbewegung. Noch sieht es zumindest oberflächlich so aus, als habe diese Forderung keine Chance gegenüber der unbeweglichen „Weiterbomben“-Haltung von Präsident Bush. Zumal er, mit Ausnahme von zehn schwarzen, einem weißen parteiunabhängigen sowie einem mexikoamerikanischen Abgeordneten — der bei der Demonstration in Washington als Redner auftrat — derzeit noch den ganzen Kongreß hinter sich weiß. „Ein Kongreß, von dessen 525 Mitgliedern ganze vier derzeit Söhne an der Golffront haben“, wie Jesse Jackson am Samstag vor dem Weißen Haus feststellte. Daher steht nach den erfolgreichen Demonstrationen jetzt auch zunächst intensive Lobbyarbeit in den Wahlbezirken und Heimatstaaten der Abgeordneten und Senatoren auf dem Arbeitsprogramm der Friedensbewegung.

Zum Umschwung der öffentlichen Meinung könnte nicht nur der Bodenkrieg beitragen, den Bush-Administration und militärische Führung intern für unvermeidbar halten oder die Ölkatastrophe am Golf, die jetzt auch die Umweltorganisationen des Landes wachrüttelt. Immer mehr AmerikanerInnen realisieren, daß dieser Krieg, der derzeit jeden Tag knapp eine Milliarde Dollar kostet, die erwartete Rezession dramatisch verschärfen und das Land in eine wirtschaftliche und sozialpolitische Katastrophe stürzen wird. Andreas Zumach

Siehe auch Seite 4

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