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Sind Schläge und Tritte Privatsache?

■ Staatsanwaltschaft schreibt an ermordete Nepalesin / Generalstaatsanwalt zieht Akte an sich

Wenn ein Mann seine Ehefrau mit Faustschlägen und Fußtritten traktiert und ihr dadurch Schürfwunden an der Stirn, eine Platzwunde auf dem Kopf und blaue Flecken an Armen und Schultern beibringt, „ist ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung nicht erkennbar“. Das teilte eine Bremer Staatsanwältin der Nepalesin Nirmala Ataie kurz und förmlich mit Datum vom 22.1.1991 mit — da war die Frau aber schon seit zwei Wochen tot, ermordet nach allen bisherigen Erkenntnissen von ihrem Ehemann.

„Makaber“ finden die Mitarbeiterinnen des AWO-Frauenhauses, in dem Nirmala Ataie nach den Übergriffen ihres Mannes im Oktober 1990 Zuflucht gefunden hatte, diese Post an eine Tote. Vor allem aber sehen sie in der Einstufung ehelicher Gewalt als „Privatsache“ eine Ursache für die Hilflosigkeit von Frauen und einen Freibrief für die Eskalation von Gewalt — in diesem Fall bis zum Mord. „Jeder Handtaschendieb wird von der Staatsanwaltschaft verfolgt, aber wer seine Frau krankenhausreif schlägt, wird durch die Privatssphäre geschützt“, empört sich Monica Bossong, Sozialarbeiterin im AWO-Frauenhaus.

Nun steht jeder Frau der Weg der Privatklage offen. Aber: „Das trauen sich viele Frauen nicht. Denn dann müssen sie als Klägerin in die direkte Konfrontation mit ihrem Mann gehen und außerdem haben sie Angst vor den Kosten des Verfahrens“, so die Erfahrungen im Frauenhaus. Besondere Probleme haben ausländische Frauen, die bei Aktionen gegen ihren Ehemann befürchten müssen, abgeschoben zu werden. Denn ihr Aufenthaltsstatus ist meist an den des Mannes gekoppelt. Bekommt er Asylrecht, gilt das auch für die Frau, solange sie sich nicht von ihm trennt. Deshalb fordern die Frauenhäuser generell einen eigenen Aufenthaltsstatus für ausländische Frauen, mindestens aber eine offizielle „Duldung“, sobald eine Ausländerin Hilfe im Frauenhaus sucht.

Dreieinhalb Monate hat die Staatsanwaltschaft gebraucht, um zu prüfen, ob die Strafverfolgung des mißhandelnden Ehemannes Mohammed Nataie von öffentlichem Interesse ist. Eine Wartezeit, die Nirmali Ataie zur Untätigkeit verdammt und ihm Gelegenheit zu neuen Kontakten gegeben hat. Hätte er zur Malträtierung seiner Frau ein Messer, einen Schlagstock oder ein anderes „Mittel“ benutzt, wäre die Entscheidung vermutlich zugunsten einer Strafverfolgung ausgefallen. So aber wurde eine Akte geschlossen mit der Mitteilung an eine Ermordete, daß die Schläge ihres Ehemannes Privatsache sind. Die Verfolgung ihres Mörders allerdings ist von öffentlichem Interesse. Doch was nützt ihr das noch?

Nachtrag: Die Pressemeldung über den Brief an die Ermordete hat den Generalstaatsanwaltschaft veranlaßt, die Akte an sich zu ziehen. Ergebnis der disziplinarischen Blitz-Überprüfung: Die Entscheidung der Amtsanwältin war falsch. Durch die Rohheit und Schwere der Tat sei die Verweisung auf den Privatklageweg „nicht sachgerecht“, so Staatsanwältin Kirsten Graalmann-Scheerer. Jetzt wird neu ermittelt und die Körperverletzung voraussichtlich im Zusammenhang mit dem Mordprozeß angeklagt. Weitere Konsequenz aus diesem und ähnlichen Fällen: Voraussichtlich ab März 1991 wird ein Sonderdezernat „Gewalt gegen Frauen“ eingerichtet. Dort sollen auch Delikte aus dem Bereich „Gewalt in der Ehe“ geahndet werden. Wer das neue dezernat leiten soll, war noch nicht zu erfahren, „voraussichtlich jedoch eine Frau.“ asp

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