: „Wir müssen mit denen anfangen, die geschädigt sind“
■ Hans Gottfried Bernrath (SPD), Vorsitzender des Bundestagsinnenausschusses, zum geplanten Gesetz über den weiteren Umgang mit Stasi-Akten/ „In der Tat nur verantwortliche Stasi-Mitarbeiter zur Rechenschaft ziehen“ INTERVIEW
taz: In Kürze soll ein Gesetz gemacht werden, das den weiteren Umgang mit der schriftlichen Stasi- Hinterlassenschaft regelt. Was ist das wichtigste an einem solchen Gesetz?
Bernrath: Ein solches Gesetz muß in seiner Intention davon ausgehen, daß es in der Tat nur verantwortliche Mitarbeiter der Staatssicherheit zur Rechenschaft zieht. Es muß aber auch ein Weg gefunden werden, daß Leute, die sozusagen in die Staatssicherheit gezwungen wurden oder die wenig schuldhaft mit der Stasi zusammengearbeitet haben, keinen Pressionen unterliegen.
Wie stehen Sie zu den Rechten der Betroffenen, also derjenigen, die bespitzelt wurden und unter dem Stasi-Staat gelitten haben? Diese Menschen wollen ihre Akten einsehen, wollen wissen, was über sie gespeichert ist. Wie soll das Gesetz diesen sehr begründeten Ansprüchen gerecht werden?
Berechtigte, das sind also zum Beispiel Geschädigte, müssen Akteneinsicht bekommen, für ihre Rehabilitierung, aber auch, um sich verteidigen zu können.
Sie sprechen von den „Geschädigten“. Gibt es nicht einfach ein legitimes Interesse, daß jeder Bürger und jede Bürgerin der ehemaligen DDR und übrigens auch der alten Bundesrepulik, die da beobachtet und in den Akten und Dateien erfaßt worden sind, die Möglichkeit haben müssen, zu wissen, was über sie, wann und von wem gesammelt worden ist?
Grundsätzlich stimme ich Ihnen zu, möchte aber hinzufügen, daß wir das sozusagen terminieren müssen. Wenn wir mit der Bewältigung der Stasi-Vergangenheit überhaupt erfolgreich sein wollen, dann müssen wir mit denen anfangen, die geschädigt sind, und uns erst dann schrittweise an die Akten heranmachen, in die Einsicht von Bürgern, die nur mutmaßen, daß sie betroffen sind, gewünscht wird.
Die vorläufige Benutzerordnung der Gauck- Behörde regelt genau die Fälle, von denen Sie gerade gesprochen haben. Das wird aber von dieser Behörde selbst und besonders von denen, die unter der Staatssicherheit gelitten haben, als sehr unzulänglich empfunden. Praktisch läuft diese Verfahrensweise auf eine sehr wirksame Nutzungsbeschränkung der Akten hinaus. Es kommt doch darauf an, das vom Bundesverfassungsgericht entwickelte informationelle Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen in dem vorgesehenen Gesetz sicherzustellen.
Gut, das wollen wir regeln und wir haben das auch ausdrücklich erklärt. Das erfordert aber doch eine Menge an Beratungen. Meine persönliche Meinung ist, daß sich dieses informationelle Selbstbestimmungsrecht nicht allein auf die Stasi- Akten beziehen kann, dazu gehören auch die Akten der SED und des Instituts für Marxismus-Leninismus. Die Praxis zeigt schon jetzt, daß diesen Akten, die überwiegend Befehlsakten sind, eine Schlüsselfunktion zukommt. Dafür muß eine Rechtsgrundlage geschaffen werden.
Wie sehen sie das Problem „schutzwürdige Belange Dritter“, sollen die auch für die Beobachter und Informanten gelten oder nur für Privatpersonen, die gleichzeitig mit einer anderen Person beobachtet wurden?
Das kann sich nur auf Privatpersonen beziehen, sonst kann es im Zusammenhang mit den Stasi-Akten keinen Anlaß geben, schutzwürdige Interessen anzuerkennen.
Nun hat der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Johannes Gerster, den Vorschlag gemacht, eine zusätzliche Behörde zu schaffen, die die Sicherheitsüberprüfungen an Hand des Stasi-Materials durchführen soll. Nach Gersters Vorstellungen soll diese Behörde auf das Know-how des Verfassungsschutzes und wohl auch auf Verfassungsschutzpersonal zurückgreifen. Meinen Sie, daß eine solche Behörde erforderlich ist oder daß die jetzige Gauck-Behörde ausreicht?
Ich halte eine zusätzliche Behörde nicht für erforderlich, ich halte es auch nicht für richtig, das Bundesamt für Verfassungsschutz einzubeziehen. Ich halte es für zweckmäßig, die Aufgaben, die Herr Gauck jetzt schon wahrnimmt, im Rahmen einer gesetzlichen Regelung so zu erweitern, daß Herr Gauck mit seinen Mitarbeitern alle Aufgaben erfüllen kann, die bei der Aufarbeitung der Stasi- Vergangenheit erfüllt werden müssen.
Nach dem Einigungsvertrag muß für die Gauck-Behörde ein Beirat geschaffen werden. Haben Sie Vorstellungen, wie der Beirat personell zusammengesetzt sein soll?
Nach dem Einigungsvertrag werden fünf Leute benötigt, drei davon sollen aus der ehemaligen DDR kommen. Es gibt sicherlich genügend Leute, die das nötige Vertrauen und auch die nötige Erfahrung haben.
Es sind derzeit zwei Varianten im politischen Spiel: Die eine sieht die Besetzung des Beirats entsprechend dem Proporz der Parteien vor, die andere setzt auf unabhängige Persönlichkeiten des öffentlichen Vertrauens...
... der Beirat bei Herrn Gauck sollte mit Persönlichkeiten und nicht nach Parteienproporz besetzt werden. Interview: Götz Aly
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