: Kolonialherren und Gartenzwerge
Der Vorsitzende des deutschen Wissenschaftsrates, Dieter Simon, extemporiert über „die politisch-kulturellen Rahmenbedingungen für eine freie Universität“/ Die „Ossis“ erhofften sich „Tröstung“ und reisten mit dröhnenden Ohren ab ■ Aus Tutzing Götz Aly
Evangelische Akademien liegen in schöner Landschaft und dienen dem „Gespräch“. Sie versammeln die Mächtigen und die weniger Mächtigen, für einen trügerischen Augenblick herrscht Gleichheit — im Schlößchen der Evangelischen Akademie Tutzing geschieht das in der „Rotunde“. Das Thema, das am lezten Wochenende angesprächelt wurde, „brennt“ — wie jedes echte Akademiethema — „offenkundig auf den Nägeln“. Ziel sei es, meint der kultiviert-bärtige Moderator, dem „nunmehr gemeinsamen Weg, eine neue Richtung zu geben“. Fast die Hälfte der Tagungsteilnehmer sei, so freut er sich, aus den fünf neuen Bundesländern gekommen. Was besonders deshalb lobenswert ist, weil sie weder die „beschwerliche“ Bahnreise nach Oberbayern noch die „erklecklichen“ Kosten scheuten.
Am Ende alles eine Frage der Finanzen
Der erste Referent stammt aus dem Westen, hatte die üblichen Schwierigkeiten mit der Lufthansa und schaffte es dennoch gerade noch pünktlich zum Podium. Er sei erstens unvorbereitet und zweitens „müde und gereizt“, teilt der Mann mit. „Daß es schon wieder um die DDR gehen muß“, entfährt es ihm. Die „Ossis“, wie sie sich selber nannten, — in ihrer Mehrzahl Uni-Rektoren und -Professoren — grienen beifällig in das herrschaftsfreie Rund der Rotunde. Vier Tage lang hatte der Referent mit den Vertretern der alten Bundesländer „gerungen“. Denn schließlich „ist alles am Ende eine Frage der Finanzen“. Nur „vorübergehend haben wir uns eingebildet, wir hätten eine Chance zum Neuanfang“. Die flüchtige Einbildung sei verflogen, das notwendige Kleingeld ohnehin perdu. Das ihm von den Veranstaltern, der Evangelischen Akademie und den Organisatoren der 17. Bayerischen Hochschultage, gestellte Thema „Politisch-kulturelle Rahmenbedingungen für eine freie Universität“ extemporiert er etwa so:
„Unsere Universitäten werden von schwachen Figuren verwaltet.“ Den Ostlern, die auf neue Freiheiten gehofft hatten, erklärt er: Die Selbstverwaltung sei nichts als ein schlechter Witz. Dekane und Rektoren westdeutscher Hochschulen würden nach dem Prinzip gewählt, „der Jüngste und Unprofilierteste macht's, der tut keinem weh“. Für Kontinuität und Herrschaft sorge dann — im besten Fall — die „berühmte Dekanatssekretärin“. Über die Berufungspraxis erfährt das Publikum: „Kein deutscher Professor ist bereit, einen besseren Professor zu berufen.“
Allerdings besteht das Problem des Feierabend-Entertainers auf dem Podium darin, daß die deutschen Hochschulen von mediokeren Bürokraten umringt sind, „die erstens behaupten, es fehlt die Rechtsgrundlage und zweitens das Geld“. So rechtes Mittelmaß und an deutschen Universitäten überfordert, seien aber auch die Studenten. 80 Prozent gehörten gar nicht dort hin, sondern viel eher an Fachhochschulen, wo sie sehr viel „praxisnah“ und „berufsbezogen“ lernen würden. Daraus folgt, nachdem der Mann auf dem Podium eine gute Stunde vor sich hin gehesselt und nebenbei einiges aus seinem Fachgebiet, dem byzantinischen Recht, zum besten gegeben hat: „In der ehemaligen DDR sollte man statt Universitäten Fachhochschulen gründen.“ Bei all dem müsse man natürlich Arroganz vermeiden, man dürfe im Osten Deutschlands nicht einfach daherkommen und sagen: „Na, was macht ihr denn da, ihr Gartenzwerge?!“
So eröffnete Professor Dr. Dr. hc. Dieter Simon am letzten Freitag die Akademietagung „Die deutsche Universität nach 40 Jahren Trennung“. Simon sprach in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Deutschen Wissenschaftsrates, also der Institution, die die Akademie-Institute der ehemaligen DDR derzeit „evaluiert“, die sich nach Simon „einen Überblick über die östliche Hochschullandschaft verschafft“ und der Bundesregierung Empfehlungen gibt, was gemacht werden soll und was nicht.
Am nächsten Morgen tritt der Leipziger Kirchenhistoriker Professor Dr. Dr. Kurt Novak in den Ring — intelligent, widerständig und seit langer Zeit weit über die Grenzen der DDR hinaus geachtet. Akribisch und unmodern, wie er ist, hat Novak sein Referat schriftlich ausgearbeitet. Er erörtert die „geistige Ruinenlandschaft“ in der ehemaligen DDR. Er spricht von der Provinzialisierung und der Fragmentierung der dortigen Universitäten, von ihrer Selbstghettoisierung, Familiarisierung und Privatisierung. Vorsichtig, nur für Eingeweihte verständlich, verteidigt Novak die Politik der „Abwicklung“ als zweifelsohne notwendigen „interventionistischen Akt“. Zwischen „Utopie und Pragmatik“ sucht er nach der Idee einer Universität, „die mehr ist, als bloße Qualifizierungsinstitution“ — ein Ort der Entfaltung und in jedem Fall mehr, „als die Übertragung westdeutscher Modelle auf den Osten“. Er befürchtet die „konservative Modernisierung“ der östlichen Universitäten, den allseitigen Rückgriff auf das bewährte Alte.
Vorsichtigen Ex-DDR-Widerspruch an die Adresse Simons wagt nur Nowak. Dessen einleitende Bemerkungen hätten bei ihm „Verärgerung und Faszination“ bewirkt, aber auch „Bestürzung“. Vosichtig und in halbbarocke Gleichnisse versteckt, umschreibt er den Vorsitzenden des Wissenschaftsrates als blanken Zyniker. „Wenn schon die Kolonialherren nicht wissen, wie es weitergehen soll, wie sollen es dann die Gartenzwerge wissen“, so fragt Nowak ironisch und bleibt ohne Antwort. Simon lächelt süß-säuerlich und schweigt den ganzen Tag. Als der vielbeschäftigte Vorsitzende dann längst wieder abgedüst ist, spricht James Terence Reed, Germanistik- Professor am Oueen's College in Oxford, das klärende Wort: Der Vorsitzende des Deutschen Wissenschaftsrates habe „totale Desinformation“ verbreitet und „totale Ignoranz“ an den Tag gelegt: „Das ist eine Zumutung für die Kollegen aus der Ex- DDR. Simons Thesen von den ,Fachhochschulen‘ der ,Berufsbezogenheit‘ und ,Praxisnähe‘ sind einfach Quatsch.“ Die Gartenzwerge hören das kaum noch. Sie haben „Tröstung erhofft“. Mit dröhnenden Ohren machen sie sich auf den „beschwerlichen“ Heimweg.
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