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Jugoslawien hat seinen Watergate-Skandal

Ein Fernsehbericht erschüttert die politische Welt Jugoslawiens/ Haben zwei kroatische Minister die Unabhängigkeitsbestrebungen in ihrer Teilrepublik durch faschistoide Äußerungen gegen die Serben disqualifiziert?  ■ Aus Zagreb Roland Hofwiler

Schien am Wochenende in Jugoslawien die Gefahr eines drohenden Bürgerkriegs fürs erste gebannt, verschärfte sich gestern die politische Lage dramatisch. Hintergrund dazu bildet eine im James-Bond-Stil gedrehte Reportage im Zwielicht von Spionage und Counterspionage, die bereits mehrmals im Fernsehen gezeigt wurde und den Zuschauer das Gruseln lehren kann. Falls die darin enthaltenen Behauptungen zutreffen, streben hohe Politiker in Kroatien mit faschistoidem Gedankengut nach einer „Endlösung“ gegenüber nationalen Minderheiten. Falls es sich um eine perfekt initiierte Fälschung handelt, müßten hohe Bundespolitiker und Armeeangehörige den Hut nehmen. Denn in der Fernsehreportage werden heimlich gedrehte Aufnahmen gezeigt, in denen der kroatische Innen- sowie der Verteidigungsminister, Martin Spegelj und Josip Boljokovac, erklären, die serbische Minderheit in der Republik müsse „zu Hackfleisch verarbeitet werden“, Kroatien müsse serbenfrei werden, aber auch frei von Oppositionellen.

Doch die Geschichte wird immer undurchsichtiger, da plötzlich Akteure spurlos verschwinden oder angeblich Selbstmord begehen — so der V-Mann Zvonko Ostoic. Die Tageszeitungen sprachen gestern bereits von einem „jugoslawischen Watergate-Skandal“, der das Land in einen Bürgerkrieg verstricken könnte. Denn erstmals zeigt sich, soviel scheint sicher, daß es in dem Balkanstaat fließende Übergänge zwischen Provokateuren, ehemaligen „Stasi“-Mitarbeitern, Wendehalskommunisten und Pseudodemokraten gibt. Der kroatische Innenminister Martin Spegelj und der Verteidigungsminister Josip Boljkovac waren beide schon unter Tito in ähnlichen Ämtern für „Aktionen gegen Regimekritiker“ verantwortlich. Vor allem albanische Dissidenten und Emigranten behaupten, die beiden wären vor der „Liquidierung“ von Regimekritikern nicht zurückgeschreckt. Vor einem Jahr galt der jugoslawische Geheimdienst noch als einer der brutalsten Osteuropas; immer wieder starben Oppositionelle auf mysteriöse Weise.

Mit der allgemeinen Wende in Osteuropa kehrten sich Spegelj und Boljkovac von der allein regierenden KP schnell ab, traten dem späteren Wahlgewinner in Kroatien bei, der rechtsbürgerlichen „Kroatisch Demokratischen Gemeinschaft“ des Franjo Tudjmans. Tudjman honorierte den Übertritt der Wendekommunisten mit einflußreichen Posten, was kleinere bürgerliche Parteien wie die „Kroatische Staatstragende Bewegung“ zu unzähligen Protesten veranlaßte.

Sollten sie Recht behalten? Denn das offizielle Zagreb hüllt sich in Schweigen, nimmt die Beschuldigten nicht in Schutz. Doch noch viel schlimmer ist für die nach Souveränität strebenden Kroaten, daß die slowenischen und mazedonischen „Verbündeten“ sich von Kroatien distanzieren wollen, bis die Affäre vollkommen aufgeklärt sei. Bisher bildeten alle drei Republiken eine „Front“ gegen die Zentralregierung und Armeespitze, die alle Autonomiebestrebungen ersticken wollte.

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