: Orientalische Tribüne
■ "Ich gehöre doch selber zu Dritten Welt"
Der Bildhauer und Maler Berzan Kejo ist als staatenloser Kurde in Syrien aufgewachsen. Seit 1986 lebt er in Bremen.
taz: Wenn Du den Golf-Krieg im Fernsehen verfolgst, für welche Seite schlägt Dein Herz?
Berzan Kejo: Erstmal bin ich gegen beide Seiten. Krieg ist in jedem Fall unmenschlich, egal von welcher Seite er kommt. Andererseits bin ich mit einer anti-amerikanischen Erziehung groß geworden. Der Anti-Amerikanismus ist vor 40 Jahren entstanden, als der Staat Israel das Herz der arabischen Welt besetzt hat. Und Saddam versucht jetzt mit seiner Demagogie diese Theorie der arabischen Einheit zu vertreten.
Die Theorie selber finde ich auch nicht schlecht, aber nicht mit Saddam und in seiner Form. Die arabische Einigung sollte von ganz freiwilligen Gefühlen kommen. Saddam redet von arabischer Einheit, weil er als Diktator ein äußeres Feindbild braucht.
Du fühlst als Araber...
Nein, aber ich habe Solidarität mit allen Arabern. Die Regierungen sind ja nur einfache amerikanische Agenten. Aber die Völker haben ein ganz anderes Denken und Fühlen. Wenn die Amerikaner mit Bombern und Flugzeugträgern übers Meer kommen, um angeblich Kuwait zu befreien, dann habe ich Mitgefühl mit den Menschen im Irak.
Der Krieg hat mit dieser neuen Weltordnung zu tun. Es muß immer zwei Mächte geben, und nachdem der Sozialismus als Feindbild nicht mehr funktioniert, mußte Saddam mit seiner islamischen Demagogie dafür herhalten.
Braucht nicht die Demagogie Saddams umgekehrt genauso das Böse in Form Amerikas?
Israel ist der Ursprung des arabischen Anti- Amerikanismus. Wenn Du siehst, wie dieser Staat entstand und wie die Palästinenser seitdem dort behandelt wurden, dann kannst Du verstehen, wie groß die arabische Tragödie ist.
Das sagst Du, obwohl Du selbst als Kurde von einem arabischen Staat verfolgt bist?
Ja, aber ich war eben von einem Staat, nicht vom arabischen Volk verfolgt. Meine Solidarität mit dem arabischen Volk, die bleibt.
Zum Beispiel könnte die Ölproduktion einiger Tage in Saudi Arabien reichen, um den ganzen Sudan vom Hunger zu befreien. Aber stattdessen wird dafür konzentrierter Orangensaft aus dem Westen nach Saudi Arabien gebracht, und dort verhungern die Leute. Beide Seiten sind Araber, aber die Minderheit verdient und die Mehrheit leidet.
Lebt nicht die arabische Mehrheit in ganz vielen Bereichen auch amerikanische Kultur? Überlebt Dein Anti-Amerikanismus auch dann, wenn Du hier in den Diskos zu amerikanischer Musik tanzt und Filme aus Hollywood siehst?
Das ist überhaupt kein Widerspruch. Ich habe ja kein blindes Feindbild. Aber ich kann doch kritisieren, was die USA am Golf tatsächlich machen. Natürlich gibt es auch Amerikaner, die in Ordnung und Araber, die schwachsinnig oder faschistisch sind.
Aber ich gehöre auch zu einem dieser Völker, die die Amerikaner Dritte Welt nennen. Diese Arroganz macht mich betroffen: Die Araber werden nicht als Menschen genommen, sondern sollen dem Interesse nach Geld und Öl dienen. Meine Mutter, meine Familie wohnt an der irakischen Grenze. Wenn jetzt Giftgas benutzt wird, dann wären sie auch betroffen.
Spürst Du das auch hier in Bremen? Fühlst Du Dich bedroht?
Es hat mich total gefreut, daß schon am ersten Tag des Krieges so viele Schüler und so viele Leute auf die Straße gegangen sind. Da habe ich ein ganz neues, schönes Bild von Deutschland bekommen.
Fragen: Dirk Asendorpf
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen