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Die Beine der Mama-Imago

■ Patrice Lecontes »Der Mann der Friseuse« im neuen Kino Odyssee

Die Besitzverhältnisse und somit die Zukunftsperspektiven der Ostberliner Lichtspielhäuser ist immer noch ungeklärt. Über die Zuständigkeiten für die Vergabe der 12 Kinos, die der Kommune gehörten, stritten ein paar Monate lang der Magistrat für Kultur und die Treuhand. Inzwischen liegt sie angeblich beim Bund. Westliche Kinobetreiber versuchen derweil anderswo Leinwände zu finden. Kinomulti Riech (UFA), dessen Instantkinos man besser meiden sollte, bespielt mittlerweile u.a. das Haus der sowjetischen Kultur und Wissenschaft in der Friedrichstraße. Der mittelständische Kino-Unternehmer Kloster, dem u.a. die Yorck-Kinos gehören, hat sich das Zeiss-Planetarium am Prenzlberg ausgeschaut und nennt es »Odyssee«. Zur Eröffnung lud man am Dienstag; der öffentliche Spielbetrieb beginnt heute.

Neben lehrreichen Vorträgen, die Kinder von 7 bis 11 darüber aufklären sollen, was das »blinkende Gewimmel am Firmament« ist, wie lange man unterwegs wäre, wollte man zu ihnen »reisen«, ob »wir Menschen in der Mitte der Welt« stehen und vor allem und am rührendsten: »Leben Sterne allein?«, kann man ab heute auch künstlerisch wertvolle und anregende Kinderfilme in der Fortschrittsarchitektur des Zeiss- Planetariums sehen, die ein bißchen an die bekannte westdeutsche Fernsehserie »Raumpatrouille« erinnert.

Die Odyssee ist auch die Reisegeschichte des Wunsches, der außerhalb der Familie erfüllt werden will. Der Wunschfilm, mit dem das Odyssee sich selber einweihte, Der Mann der Friseuse von Patrice Leconte, behält seine Wünsche für sich und alles bleibt in der Familie, auch wenn die Geschichte etwas antagonistisch als »Amour fou« angekündigt wurde. Antoine (Jean Rochefort), ein Junggeselle um die fünfzig mit freundlichem Schnauzer und den Spuren, die das sogenannte Leben im Gesicht alter Jungs hinterläßt, verliebt sich mit einem Blick in die Friseuse Matthilde (Anna Galiena), die einen hübschen Salon (bezeichnenderweise für Kinder und Herren) an irgendeiner Ecke irgendwo in Paris führt. Sie ist Junggesellin, Jungfrau, vielleicht um die 35, sie ist schön und bestimmt und antwortet auf den Heiratsantrag, den der Kunde beim ersten Friseursbesuch stellte, beim zweiten Mal »Ja.« »Je länger sie widerstehen, desto schöner ist es, wenn sie sich hingeben«, hat Antoine bei seinem Vater gelernt. Während der Hochzeit kommt ein trauriger Onkel in den Salon, der sich den Kinnbart abrasieren lassen möchte, weil seine Freunde ihm sagen, daß er so traurig damit aussähe. »Noch schlimmer«, sagt er, als er geht.

Die Bilder der Kindheit des Mannes vermischen sich mit der selbstgenügsamen Liebe im Frisiersalon. Am Strand spielen hübsche kleine Jungs in wollenen Badehosen mit lustigen Bommeln, am Strand behauptet der Vater, das Leben sei einfach. Man müsse sich nur etwas ganz fest herbeiwünschen, um es zu bekommen. »Und wenn der Wunsch nicht in Erfüllung geht, dann war das einfach der Beweis dafür, daß der Wunsch nicht stark genug gewesen war.« In der Stadt wirft Antoine als Junge scheu-schwüle Blicke zwischen die nackten Beine einer Friseusin. Und die Beine der Mama-Imago vermischen sich mit den Beinen von Matthilde. Gierig und behütet zugleich saugt der Junge im Mann an den Brüsten seiner Geliebten oder steht doppelt da, als Junge, der sich seiner Mama zum Liebhaben anbietet und als Junge, der auf dem Frisiersessel sitzt und sich gegen seine symbolische Kastration wehrt und den er, Antoine, bauchtanzend zur arabischen Musik, abzulenken sucht. Der Mann steht zwischen Vergangenheit und Zukunft, die Frau, als Nachfolgerin des schwulen Friseurs, bei dem sie angestellt gewesen war, kommt aus dem Nichts. Am Ende — denn sie fürchtet sich vor dem Alter und davor, nicht mehr begehrt zu werden und möchte ihr Leben beschließen, wenn's am schönsten ist — geht sie zurück ins Nichts, versinkt im Fluß und es gewittert ganz furchtbar. Und der Mann kehrt zurück zu den Männern, nachdem er sich qua Wiederholung seiner kindlichen Sehnsüchte von der Mutter abgenabelt hat: Gemeinsam mit einem arabischen Kunden, der ihm sagt, wie's richtig geht, bauchtanzt er noch einmal. Detlef Kuhlbrodt

Odyssee — Kino im Zeiss-Planetarium, Prenzlauer Allee 80, Ost- Berlin 1058.

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