Ausgeschaukelt

■ Die Bundesregierung hat den politischen Spielraum in Sachen Golf restlos verspielt KOMMENTARE

Wäre die Sache nicht zu prekär, sie hätte ein schallendes Lachen verdient: Sechs Monate nach der Annexion Kuwaits, knapp zwei Wochen nach Kriegsbeginn, vermissen bundesdeutsche Politiker und Kommentatoren in einer Mischung aus Trauer und Empörung die Bonner „Meinungsführerschaft“ im Golfkonflikt. Euphemistischer läßt sich der Totstellreflex der Bundesregierung, das bang kalkulierte Abtauchen der Bonner Außenpolitik während der letzten Wochen wohl kaum thematisieren. Die hektischen Versuche jetzt, mit Truppen in der Türkei, Milliardenopfern für die Alliierten und Abwehrwaffen für Israel das jämmerliche Bild im nachhinein zu korrigieren, wirken nur noch peinlich. Denn bei den jüngsten Beschlüssen handelt es sich nicht mehr um souveräne Entscheidungen, sondern wieder nur um Reflexe, die Bonn unter internationalem Druck abgezwungen wurden. Insofern ist die jetzt versprochene, bedingungslose Solidarität mit Israel, den Alliierten und der Türkei nicht glaubwürdiger als die zuvor betriebene Politik des wortreichen Nicht- Befassens. Die staunende Öffentlichkeit erlebt das vermeintliche Wiedererwachen der Bonner Regierungsriege als erzwungenen Schulterschluß nach den Wochen des Lavierens. Mit Politik hat beides nichts zu tun.

Der Vorwurf der Drückebergerei, in dem sich die internationalen Reaktionen auf die Bonner Haltung zusammenfassen lassen, ist begründet. Nicht deshalb, weil für Bonn nur die bedingungslose Unterstützung des alliierten Angriffs legitim gewesen wäre, sondern weil Bonn sich nicht traute, sein argumentationsloses Unbehagen an der Eskalation politisch zu formulieren und zu vertreten: das Embargo war — wie wir jetzt wissen — löchrig, auch für deutsche Waffen; der Bonner Einspruch gegen einen vorschnellen Abbruch der Sanktionspolitik blieb hinter Genschers vorgehaltener Hand; Frankreichs Plädoyer für einen Aufschub des Angriffs in letzter Minute fand Bonn nur als schweigenden Trittbrettfahrer.

Aufschrecken ließ sich die Bundesregierung weder vom Kriegsbeginn noch von den Angriffen auf Israel, sondern vom internationalen Echo auf die Anti-Kriegsbewegung. Erst dadurch geriet das Bonner Politikvakuum in die Schlagzeilen und die Reputation der Bundesregierung in Gefahr. Keine Aktion der letzten Wochen war verlogener als die Diffamierungen der Friedensbewegung, mit denen Bonn von seiner eigenen Kriegsunlust ablenken wollte.

— Vergebens, wie sich jetzt zeigt. Mit ihrem feigen Dilettantismus hat die Bundesregierung ihren politischen Handlungsspielraum auf Null gebracht. Keine Forderung der Alliierten, die sie — aus der Position eines zur Räson gebrachten Abweichlers — jetzt noch zurückweisen könnte. Auch in der Frage eines möglichen Bündnisfalles hat sie ihre Entscheidungskompetenz faktisch bereits delegiert. Ab jetzt wird Bonn bedingungslos in die Pflicht genommen. Es bleibt dem Kanzler überlassen, diesen Sachverhalt auf seine Weise zu interpretieren: „Flagge zeigen!“ Matthias Geis