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Kohl: „Gelebten Patriotismus“ entfalten

Der Kanzler plädiert in seiner Regierungserklärung dafür, daß das geeinte Deutschland seine Rolle im Kreis der Nationen annimmt/ Skepsis gegenüber einem Waffenstillstand am Golf  ■ Von Ferdos Forudastan

Bonn (taz) — Geld, Waffen und Soldaten für den Golfkrieg segnete Bundeskanzler Helmut Kohl gestern im Bundestag auch noch einmal ganz allgemein ab. In seiner umfassenden Regierungserklärung zu Beginn der neuen Legislaturperiode bezeichnete Kohl die am Montag versprochenen 5,5 Milliarden Mark für den Krieg als Unterstützung für die Völkergemeinschaft, zu der Deutschland fest stehe. Daß zusammen mit den Abwehrsystemen Roland und Hawk auch weitere deutsche Soldaten in die Türkei ausrücken müssen, rechtfertigte der Kanzler mit dem „Schutz unseres Nato-Partners Türkei und insbesondere der dorthin verlegten [...] Luftwaffenverbände“. Geld und Abwehrraketen für Israel wertete er als Zeichen „unserer ganzen Solidarität“ für dieses Land. Daß die Bundesrepublik sich nicht für einen Waffenstillstand einsetzen wird, machte Kohl ganz deutlich: „Frieden um jeden Preis kann und darf es nicht geben.“ Mit den unterschiedlichsten Formulierungen versuchte er, der Kritik des westlichen Auslandes an der angeblich zu schwachen Rolle Deutschlands im Golfkrieg etwas entgegenzusetzen: Man sei „solidarisch verbunden“, danke den Opfer bringenden Verbündeten, stehe fest zur Völkergemeinschaft, die „von uns auch weiterhin jede Unterstüzung (erhält), die uns möglich ist“. Er betonte überdies, das Grundgesetz müsse so geändert werden, daß künftig deutsche Soldaten in den UNO-Truppen mitkämpfen können. Für die Änderungen des Grundgesetzes, die aufgrund des Einigungsvertrages und der kommenden europäischen Einigung notwenig werden, schlug Kohl ein paritätisch besetztes Gremium aus Bundestag und Bundesrat vor.

„Deutschland hat mit seiner Geschichte abgeschlossen, es kann sich künftig offen zu seiner Weltmachtrolle bekennen und soll diese ausweiten“ — viele Sätze der Kohlschen Regierungserklärung waren deutlich von solchen Gedanken geprägt: „Ganz Deutschland hat jetzt die Chance, sein inneres Gleichgewicht, seine Mitte zu finden. Dazu gehört, daß sich auch in Deutschland entfalten kann, was in anderen Nationen selbstverständlich ist: gelebter Patriotismus...“, „Es geht jetzt darum, daß das vereinte Deutschland seine Rolle im Kreis der Nationen annimmt“, „Es gibt für uns Deutsche keine Nische der Geschichte, der Weltpolitik, und es darf für Deutschland keine Flucht aus der Verantwortung geben“, „Jetzt wird von uns auch mehr Mitwirkung an der Lösung weltpolitischer Fragen erwartet“.

So markige Worte Kohl für Krieg und Weltmacht Deutschland fand, so lau fiel die zweieinhalb Stunden lange Regierungserklärung im übrigen Teil aus. Nur selten wurde er so deutlich: Wegen der „Belastungen“, die jetzt im Zuge des Golfkrieges und der politischen Veränderungen in Mittel-, Ost- und Südosteuropa auf uns zukämen, seien, so der Kanzler, Steuererhöhungen notwendig. Als „absolute Priorität“ für die kommenden Monate und Jahre bezeichnete der Kanzler in seinen sehr allgemein gehaltenen Passagen zur Wirtschaftspolitik „gleiche Lebensverhältnisse für die Menschen in ganz Deutschland“. Er rief dazu auf, in die neuen Länder zu investieren und die neuen Länder und Kommunen finanziell besser auszustatten. „So schnell wie möglich“ werde die Bundesregierung die Neuverschuldung wieder verringern. Schon dieses Jahr solle der Bundeshaushalt um 35 Milliarden Mark entlastet werden. Kohl kündigte an, daß der Familienlastenausgleich verbessert und die Unternehmensbesteuerung fortgesetzt werde. Der Kanzler kündigte einen Gesetzentwurf „zur Beseitigung rechtlicher Investitionshemnisse“ für die nächste Zeit an und versprach eine bald verbeserte Infrastruktur in der alten DDR. „Privates Wohneigentum muß in den neuen Bundesländern wieder attraktiv werden“, viel mehr sagte er zu der wichtigen Wohnungspolitik nicht. Kohl forderte die alten Bundesländer und Kommunen auf, mehr für die neuen zu tun.

Dürftig geriet auch der Abschnitt zur Umweltpolitik: Um die CO-2 Emissionen nachhaltig zu reduzieren, bedürfe es marktwirtschaftlicher Anreize zur rationelleren Energieversorgung. Es werde eine CO-2 Abgabe erhoben. Abfallvermeidung und Abfallverwertung — etwa durch Mehrwegsysteme und Pfandregelungen müßten selbstverständlich werden.

Kohl kündigte an, daß die agrar- soziale Sicherung reformiert wird. Er versprach, die Familien stärker steuerlich zu entlasten, indem man die Förderung durch Kindergeld ausbaue, die Kinderfreibeträge erhöhe, und sich für einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz einsetze. Zum Paragraph 218 befand er vor allem, daß es gelte, eine einheitliche Regelung zu finden.

Über den Umgang mit der Stasi- Vergangenheit sprach Kohl nur ganz verschwommen. Zu den Problemen von Ausländer und Asylbewerber fand Kohl nur wenige Worte. Dafür gab es seitenlanges Lob für Europa und beschwörerische Worte für die NATO, den „unverzichtbaren Sicherheitsverbund zwischen Europa und Nordamerika“, den militärischen verbleib der USA hierzulande und die allgemeine Wehrpflicht.

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