Der Kuß des Spinnenweibchens

König Hassan II. versucht, der Opposition der Marokkaner gegen den Krieg am Golf durch repressive Toleranz beizukommen/ Er rief die Untertanen zum Generalstreik auf  ■ Aus Paris Oliver Fahrni

Marokkos König Hassan II. handhabt sein repressives Arsenal mit delikater Akkuratesse. Mal läßt er gegen Kinderdemonstranten die Armee aufmarschieren, mal taucht er seine „lieben Untertanen“ in ein Wechselbad von kalkulierter Willkür, Folter, Milde, Tod. Zur Zeit hält er's mit dem Kuß des Spinnenweibchens: Umarmen, um besser zu töten. Zum Montag verfügte der Herrscher einen 24stündigen Generalstreik samt Fasten, um „in Disziplin und innerer Versammlung“ seine „Solidarität mit dem heroischen irakischen Brudervolk zu bezeugen, dessen Schmerz wir teilen“. Erwartungsgemäß war der von der regierungsnahen Gewerkschaft UMT organisierte Streik ein durchschlagender Erfolg.

Der Vorgang erfordert eine gewisse geistige Flexibilität: Hassan unterstützt die okzidentale Koalition und hat 2.000 Mann in der saudischen Wüste stehen. Sein Engagement an der Seite der USA wird vom Volk nicht geteilt — die meisten Marokkaner sehen in Saddam Hussein einen arabischen Helden, der dem Westen trotzt. Die Differenz ist brisant, weil sie mit einer sozialen Revolte zusammenfällt: Als Mitte Dezember die Oppositionsgewerkschaften CDT und UGT für mehr Brot und Rechte streikten, zogen Tausende Jugendliche aus den Ghettos mit Anti-Hassan- und Pro-Saddam-Rufen durch die Innenstädte. Hassan II. ließ schießen.

Weil Anfang des Jahres die Opposition neue Streiks ankündigte und dabei soziale Forderungen mit arabischer Solidarität für den Irak verband, drohte Hassan erst, er werde den Ausnahmezustand verhängen und schloß die Schulen. Dann erkannte er, daß ihm diese Kraftprobe gefährlich werden könnte. In einer TV-Ansprache sagte er, sein Verstand sei zwar mit dem Westen, sein Herz aber beim irakischen Volk. Ein paar Tage später schrieb er seinen Take-Over auf die Pro-Irak-Bewegung und blies die angekündigten Demos zum Generalstreik auf. Die Opposition konnte nur noch nachziehen. Sicherheitshalber hielt HassanII. die Polizei in der Rückhand. In Tanger stand am Wochenende, so ein Zeuge, an jeder Straßenecke ein Mannschaftswagen. Der König ließ trotz einiger Zwischenfälle seine Agentur 'Map‘ die würdige Reife des Volkes loben. Aus dem Serail hört man, daß Hassan erwägt, seine Truppen aus Saudi-Arabien abzuziehen. Reisende berichten von handfesten und brutalen Streitereien zwischen Marokkanern auf der einen, Amerikanern und Saudis auf der anderen Seite. Vorläufig hat Marokko seine Militärs nach Süden zurückgezogen, um „in rein defensiver Mission“ Mekka und Medina abzuschirmen. Die Sache ist damit nicht vom Tisch — und für Sonntag hat die marokkanische Opposition einen „großen Volksmarsch“ angesagt.