: Die Schneidetisch-Täter, Teil II
■ „Keine Experimente“, Mi., 22.40 Uhr, ZDF
Geht es um die Zensurvergangenheit der BRD, so sieht die ARD im direkten Vergleich mit dem ZDF diesmal leider alt aus. Gegen Malte Ludins Keine Experimente wirkte Hennerick Bröskamps und Reinhold Elschots Sex, Gewalt und FSK (am 24. 11. 90 in 1 Plus) geradezu wie ein Werbespot für die Zensur.
Es ist unglaublich, welch radikal unterschiedliche Bilder Kulturbeiträge auch heute noch über dieses „beschämendste Kapitel westdeutscher Kulturpolitik“ zeichnen können. Bröskamp/Elschot vermittelten ein Bild, nach dem die politisch motivierte Schnittauflage der FSK als Kinderkrankheit abgetan werden kann. Hauptsache wir können heute die „Gewaltpornos“ zensieren.
Ohne viel Federlesen bringt dagegen Malte Ludin die Sache auf den Punkt. Aus unserer heutigen Sicht ist die damalige Praxis der FSK kriminell. Das geistige Klima, dessen Kind die FSK ist, so Ludin, verdankte sich erheblichen personellen Altlasten aus der NS-Vergangenheit, die als Fachkräfte beim Aufbau (wie verräterisch ist doch der Begriff „Wiederaufbau“) der Bundesrepublik gebraucht wurden. Der kalte Krieg gegen den Kommunismus machte gerade vor dem massenwirksamen Zelluloid nicht halt. Nahezu alle Defa-Filme aus der damaligen DDR — ja selbst polnische Filme, in denen die „Sowjetzone“ als „DDR“ bezeichnet wurde und ansonsten vollkommen harmlos sein konnten — wurden verboten. Ohne gesetzliche Grundlage wurde 1954 auf Bestreben des Verfassungsschutzes gar der sogenannte „Interministerielle Ausschuß“ im Bundeswirtschaftsministerium ins Leben gerufen. Bis zu seiner Inkriminierung 1967 bewirkte er das Verbot von ca. 130 Filmen wegen „staatsgefährdender Propaganda“, die „das Ansehen der Bundesrepublik im Ausland“ gefährdeten. Der von den Nazis verfolgte Heinrich Mann war noch im Exil, als die Defa-Verfilmung seines Der Untertan schon wieder verboten wurde und aufgrund ihres Welterfolgs erst Jahre später erheblich zensiert in deutsche Kinos kam. 1956 vermochte das Auswärtige Amt sogar Alain Resnais Bei Nacht und Nebel im Rahmen der Filmfestspiele in Cannes (!) zu verbieten.
Eine unglaubliche Fülle von Zahlen, Daten und Fakten werden genannt, die man sich bei einmaligem Anschauen unmöglich alle merken kann. Zeitzeugen wie Fee Vaillant, die verbotene Filme in geschlossenen Filmklubs zeigte und deswegen erheblichen Ärger mit der Polizei hatte, kommen zu Wort. Ein anhaltender Eindruck der Empörung bleibt zurück, daß unsere deutsche Demokratie auf solch faulem Grund steht. Manfred Riepe
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