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In eine falsche Solidarität gezwungen-betr.: den Krieg am Golf

betr.: den Krieg am Golf

Aus der Diktatur in die Demokratie eingetreten, bin ich irritiert von vielem, was mir bekannt vorkommt.

Plötzlich befinde ich mich in der Nato an der Seite eines türkischen Präsidenten von doch wohl zweifelhafter demokratischer Statur. Mehr noch irritiert mich, daß erneut ideologische Schützengräben ausgehoben und verteidigt werden wie in alten Zeiten. Der Friedensbewegung wird vorgeworfen, das „Ansehen des deutschen Volkes“ zu beschädigen. Penetrant wird gefordert, vor allem Saddam Hussein zu kritisieren. Der schüchterne Hinweis, daß die Bürger eines jeden Staates vor allem für die Politik der eigenen Regierung verantwortlich seien, wird von einer Medienkampagne, die das ‘Neue Deutschland' unseligen Angedenkens nicht besser hätte organisieren können, runtergebügelt. Muß ich da nicht an die achtziger Jahre erinnert werden, als das Honecker-Regime jede Kritik an der eigenen Politik für gegenstandslos erklärte, da die Regierungspolitik in der DDR ja Friedenspolitik sei?

In jedem Fall ist eine solche unhistorische Herangehensweise an komplizierte Probleme wie im Nahen Osten zum Scheitern verurteilt. Man kann nicht einen Zeitpunkt in der langen Geschichte der Konflikte im Nahen Osten zur Stunde Null erklären — nur weil jetzt erstmals die Mehrheitsverhältnisse im UNO-Sicherheitsrat günstig sind — und alle Vorgeschichte vergessen. Wäre Politik etwas moralischer als sie zu sein scheint, wäre sie etwas mehr um das Schicksal der einfachen Menschen, um das Leben der irakischen Bürger und der Soldaten der alliierten Streitkräfte besorgt, hätte man zu Saddam Husseins Vorschlag, sich im Tausch für eine Nahost-Konferenz aus Kuwait zurückzuziehen, folgendes gesagt: Zwar bist du ein Verbrecher, aber wir können angesichts eigener Schuld unmöglich das Richtige ablehnen, nur weil es von einem Verbrecher vorgeschlagen wurde. Eine solche Entscheidung wäre von der Weltöffentlichkeit verstanden und gebilligt worden und hätte den Anfang einer wirklich neuen Moral in den internationalen Beziehungen bedeutet. Freilich hätte sie der Logik der Industriegesellschaft, die in der gegenwärtigen Weltwirtschaftsordnung nichts grundsätzlich Ungerechtes erkennt, widersprochen.

Bemerkenswert für einen ehemaligen DDR-Bürger, der jahrelang unter der Doppelzüngigkeit des eigenen Regimes gelitten hat, ist die Rolle der Propaganda in diesem Krieg. Es zeigt sich, daß man in der pluralistischen Gesellschaft nur ehrlich zuzugeben braucht, daß man den Bürgern die Informationen über den wahren Kriegsverlauf in ihrem eigenen Interesse vorenthalten muß, um einen breiten Konsens zu finden. Aber vielleicht sind das doch eher Verdrängungsmechanismen, die von einer Bevölkerung um so bereitwilliger angenommen werden, als sie sich selbst ihres parasitären Lebensstils wegen gegenüber den Völkern der Dritten Welt schuldig fühlt. Das deutsche Volk kann ja nicht sagen, daß es von der Ausbeutung der Dritten Welt auch durch Deutschland nichts weiß. Mit erstaunlichem Zynismus wurden erst neulich bei den Gatt-Verhandlungen die Folgen der deutschen Agrarsubventionen für Argentinien und andere Länder diskutiert. Nicht zum ersten Mal in der deutschen Geschichte wird das Volk durch Verdrängung eigener Schuldgefühle in eine falsche Solidarität gezwungen.

Auch die Art der Verdächtigung Andersdenkender erinnert mich an die DDR. Wenn ich die pauschalen Vorwürfe an die Friedensbewegung wegen „antiamerikanischer“ oder „antiisraelischer“ Töne höre, denke ich an die in der DDR gängigen Parolen vom „parteifeindlichen Verhalten“ oder dem Slogan „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“. Reinhard Gumbel, Ost-Berlin

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