: DIE LIEBE ZUM AUTO
■ Wenn die isländische Präsidentin ein Bäumchen pflanzt, fährt sie in einem lackschwarzem amerikanischen Fleetwood. Niemals zu Fuß, scheint das Motto der Isländer zu sein
Wenn die isländische Präsidentin ein Bäumchen pflanzt, fährt sie in einem lackschwarzen amerikanischen Fleetwood. Niemals zu Fuß, scheint das Motto der Isländer zu sein.
VONFRANKKEIL
Wann immer es geht, läßt sich die isländische Staatspräsidentin Vigdis Finnbogadottir in einem lackschwarzen amerikanischen Fleetwood über das Land chauffieren. Sie benutze das Flugzeug äußerst ungern, erzählen die Isländer. Zum einen, weil der Präsidentin daran gelegen sei, sich wie eine ganz normale Bürgerin zu geben, in jedem Falle aber sei das Auto die bequemste Möglichkeit, die Bäumchen zu transportieren, die sie gemäß ihres Wahlversprechens bei jedem offiziellen Termin pflanzt. Drei Bäumchen sind es diesmal, die sie anläßlich eines kurzen Besuches einer lokal bedeutsamen Kirche im kaum besiedelten Südosten Islands auf dem Friedhof pflanzen wird. Drei junge Birken, die noch im Kofferraum eines sechstürigen, mit getönten Scheiben ausgestatteten Toyota-Geländebusses warten, während Vigdis, wie sie von ihren Isländern kurz mit Vornamen genannt wird, sich nach einem geeigneten Platz etwas abseits der Gräber umsieht. Dann läßt sie sich von einem der örtlichen Farmer den Spaten reichen.
Einprägsam auch das Nummernschild des Fleetwoods: zuerst das isländische Wappen, dann das internationale Autokennzeichen für Island: IS, und an Stelle der sonst vier Ziffern kurz und knapp: die Eins.
Amerikanische Verhältnisse
Robert, ein junger Tourist aus Schwaben, denkt bei dem Wort Baum zuerst an Baum- oder Waldsterben. Er hat sich für einen Urlaub in Island entschieden; nicht wegen der dort lebenden Menschen, sondern wegen der tief eingeschnittenen Fjorde im Osten und Westen, der kochendheißen Springquellen, der öden und wasserlosen vulkanischen Wüsten, wegen einer Landschaft, die er kurz „Natur“ nennt und die er auf seinen Wanderungen kennenlernen und genießen möchte. Es hat ihn fasziniert, daß nur ein Prozent der Fläche des Landes besiedelt und kultiviert ist, zwölf Prozent sind dagegen von Schnee und Eis bedeckt, elf Prozent Lavafelder, rund 50 Prozent nicht nutzbares Ödland. Während Robert erzählt, sitzen wir auf dem hölzernen Treppenabsatz des Youth Hotels und sehen dem Farmer, der gleichzeitig unser Wirt (der Warden) ist, bei dem Abschluß seines heutigen Arbeitstages zu. Er setzt sich nicht auf seinen Traktor, sondern wechselt in seinen viertürigen, lindgrünen Volvo, kurbelt die Scheiben herunter und fährt die vielleicht hundert Meter den Sandweg hinunter zur Pforte, die tagsüber weit offen steht. Er steigt aus, schließt die Pforte, steigt wieder ein, fährt zurück, parkt so knapp wie möglich vor der Eingangstür des Wohnhauses, kurbelt die Scheibe wieder hoch und steigt aus. Genauso denkbar wäre es gewesen, daß er an der Pforte einen vorbeifahrenden Nachbarn trifft (in einem beigen Subaru 1800, dessen Frontscheinwerfer mit einem feinmaschigen Gitter aus Draht vor Steinschlag geschützt werden) und daß sich beide eine halbe Stunde lang unterhalten, bei laufendem Motor, versteht sich; bei zwei laufenden Motoren, sagt Robert.
Es gibt mehrere, sich ständig wiederholende Gesprächsthemen während eines Island-Urlaubs. Wie das Wetter in welcher Gegend in letzter Zeit war und wie es werden wird; wann der Bus fährt und ob die Straßen im Hoch- und Inland zum Durchqueren von den Behörden freigegeben sind; daß die Lebensmittel bis auf Milchprodukte sehr teuer sind, die Isländer an der Kasse nur mit Schecks bezahlen und was sie wohl im Winter machen, wenn die Sonne nur für 4,5 Stunden „scheint“; und daß die Isländer aber auch jeden Meter mit dem Auto fahren und den Motor nur über Nacht abstellen, obwohl doch das Benzin unbezahlbar ist und die Straßen in unserem Sinne kaum befahrbar zu nennen sind: lose aufgeschüttete Schotterpisten, mit unergründlichen Schlaglöchern, die sich immer knapp am Abgrund bergab- und bergaufwinden. Fahrbahnmarkierungen oder gar Leitplanken gibt es nicht. Es ist sinnvoll und auch vorgeschrieben, immer mit eingeschalteten Scheinwerfern zu fahren. Im Kontrast dazu stehen die farbenprächtigen, aus Metall, Glas und Plastik gebauten Tankstellen, die gleichzeitig eine Werkstatt, einen Süßwarenladen, einen Hot-Dog- Stand und eine Caféteria beherbergen und von denen eine am Ortseingang, die andere am Ortsausgang liegt, je nachdem, aus welcher Richtung man kommt. Mit Teppichboden ausgelegt, mit Plastikstühlen und -tischen eingerichtet, innen und außen jeder Winkel hell ausgeleuchtet, dazu der obligatorisch summende Coca-Cola-Eisschrank. Die Tankstellen sind bis Mitternacht geöffnet, was der westeuropäische Tourist sofort „amerikanische Verhältnisse“ nennt.
Die Japaner sind beliebt
Hinter den Farmhäusern und Ställen verrosten die Autowracks. Ein Auto in Island hält zwei, maximal drei Jahre. Die Straßen und das Klima zerrütten jedes Chassis, die Autos brechen regelrecht auseinander. Man schlachtet noch den Motor aus, kauft sich aber doch einen Neuwagen. Es wird alles gefahren, was es auf dem internationalen Automobilmarkt gibt. Beliebt sind in den letzten Jahren die Japaner geworden. Mitsubishi, Mazda, Daihatsu, Nissan, deren Limousinen, aber vor allem deren Jeep- und Geländewagenausführungen im Preis bis zu einem Drittel billiger sind. Ideologisch hat man keine Vorurteile, sondern man denkt praktisch. So nutzen die Isländer russische Kleinbusse mit dem unverwüstlichen Allradgetriebe, und Trabant führt eine Werksvertretung in der Hauptstadt Reykjavik. Der Trabi ist oft das erste eigene Auto der 18jährigen, da er so unglaublich billig und nicht kaputtzukriegen ist. Lada hat seinen kleinen, zweitürigen Jeep sehr oft verkaufen können. Die Naturschutzwärter, die das schwer zugängliche Hochland überwachen, in Flüssen liegengebliebene Touristenautos bergen und oft genug deren Insassen vor dem Ertrinken oder Erfrieren retten, sind beispielsweise mit dem Lada-Jeep ausgerüstet.
Die Straße den Kids
Szenenwechsel. Akureyri, die Stadt im Norden, nahe am Nordpolarkreis. Knapp 14.000 Einwohner, das nennt sich bei uns Gemeinde oder Flecken. Man muß am Freitagabend in Akureyri sein oder sich am Samstag zwischen Mitternacht und drei Uhr morgens auf dem Marktplatz aufhalten. Der lokale private Radiosender hat sich auf das an jeder Wochenendnacht stattfindende Verkehrschaos mit aller Entschiedenheit eingestellt. Man sendet Discomusik, unaufhörlich, möglichst dicht einen Titel an den anderen gehängt, keine Nachrichten und keine noch so kurzen Wortbeiträge. Die Straße gehört den Kids. Wer noch kein eigenes Auto hat, hat es sich von seinen Eltern geborgt, die es bereitwillig hergeben. Niemand geht zu Fuß. Zu zweit oder zu viert fährt man um den Marktplatz, parkt auf dem Gehweg oder auf dem Parkplatz vor dem einzigen Kino der Stadt, dreht das Autoradio bis zum Anschlag auf oder hängt gleich die Boxen aus den Seitenfenstern, fährt wieder an, hupt, stoppt, fährt weiter. Jemand steigt aus einem Auto, klettert bei seinen Freunden oder bei seiner Freundin über die Kühlerhaube aufs Dach. Der andere Wagen hupt, bremst, dann reichen sich die Insassen im Fahren untereinander durchsichtige Halb- Liter-Flaschen zu, die mit irgend etwas Obskurem plus Cola gefüllt sind. Fahren, bremsen, parken. Immer im Kreis um den Marktplatz, ein Auto hinter dem anderen, ein Dutzend hinter dem nächsten Dutzend. Es wäre völlig unmöglich, jetzt die Stadt mit dem Auto zu durchqueren, weil man vielleicht tatsächlich irgendwohin will. Gegen zwei Uhr fährt alles zu den Discotheken, von denen es, wie bei den Tankstellen, zwei gibt: eine mehr stadtauswärts, die andere mehr stadteinwärts. Um drei Uhr ist Sperrstunde, und alles schließt. Es sind keine Erwachsenen zu sehen und keine Polizei.
Die Eltern benehmen sich am nächsten Tag, am Sonntag, gesitteter. Aber es ist im Grunde nur eine Variante. Nach dem Mittagessen steigt die Familie ins Auto. Man fährt los. Mit Vorliebe in die Gegenden der Stadt, wo gebaut wird, wo neue und schönere Häuser entstehen, in die man tatsächlich eines Tages einziehen wird; parkt dort mit Blick auf den Hafen, auf den Fjord oder aufs Meer; hält an einer der Tankstellen, an den Waschboxen, um den Wagen abzuspülen und hinterher zu essen und zu trinken. Startet wieder und malt sich im Fahren aus, wie der Ort, die Straße aussehen wird, wenn man erst dort eingezogen ist und von dort aus am Sonntagnachmittag kolonnenweise spazierenfährt. Sicherlich versucht man auch bei dieser Gelegenheit, jemanden zu besuchen. Verwandte oder eine befreundete Familie. Aber die sind ja auch mit dem Wagen unterwegs.
Mit diesen Beobachtungen im Hinterkopf, stehe ich mit Robert an Bord der „Norröna“ und sehe beim Verladen und Einschiffen zu. Sie fährt das letzte Mal in diesem Jahr rüber auf das europäische Festland, und wer mit dem eigenen Wagen unterwegs war, muß sehen, daß er sein Fahrzeug an Deck bekommt. Notfalls schieben. Fabrikneue Wohnmobile, ausgebaute Lieferwagen, ein Lastwagen, auf den eine Wohnkabine gebaut wurde, alles, was man sich in der Kombination von Wohnen, Übernachten und Fortbewegen vorstellen kann, findet man unter den Island-Fahrern, wie sie sich stolz nennen und nennen lassen. „Overprotected“ ist die Vokabel der Isländer, wenn sie diese Armada von militärmäßig ausgerüsteten Fahrzeugen im Mai einreisen und jetzt wieder abfahren sehen.
Zum Abschluß fährt eine Gruppe von Italienern mit ihrem völlig verdreckten Geländebus die Rampe zum Schiff hinauf. Gestern abend sind sie damit bis zur Waschbox an der Tankstelle gefahren und haben mit dem Lappen nur das Nummernschild saubergewischt. Fahrer und Beifahrer hängen den Arm aus dem Fenster und versuchen, möglichst unbeteiligt auszusehen. Sie hatten sich auf alles vorbereitet: Über die Fahrertür ist ein Spaten montiert, an der Beifahrertür eine riesige Axt. Dabei gibt es in Island schon seit Jahrhunderten keine Wälder mehr.
Nach zwei ruhigen Tagen an Bord, wenn man zur Linken für eine Weile die norwegische Küste sieht, fängt alles an, ein- und zusammenzupacken. Robert streift durch das Autodeck. Er muß nach Schwaben zurück und sieht sich die Kennzeichen an, ob ihn jemand, der ohnehin in den Süden fährt, mitnehmen könnte. Schließlich hat er sich für einen hellblauen Opel Corsa mit Heidelberger Kennzeichen entschieden, der einem Paar gehört, das die Zeit auf dem Schiff meist in der Caféteria sitzend und lesend verbracht hat. Taktisch nicht unklug, wartet Robert, bis er die Frau alleine erwischt. Fragt sie, ob der blaue Corsa ihr gehöre. Ja der gehöre ihnen, sagt sie zu ihm, aber sie könnten ihn leider nicht mitnehmen, wenn er das fragen wollte. Sie hätten alles vollgepackt, den Kofferraum, die Rückbank, es wäre gerade genug Platz für sie, so gut hätten sie gepackt; das sei ja leider das Unangenehme, daß man viel zu viel mitnehme und mitschleppe, wenn man mit dem Wagen in Urlaub fahre. „Jaja...“, sagt Robert, „... war nicht so gemeint.“
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