: „Ich hatte keine Ahnung von diesem Haß“
■ Ein Gespräch mit der rumänischen Schriftstellerin Ana Blandiana
Ana Blandiana: Unter Ceausescu waren meine Bücher dreimal verboten. Die kleineren Eingriffe zähle ich nicht; das passierte zu oft und war himmelschreiend absurd. Bei mir begann wie bei allen anderen Schriftstellern die Zensur meist mit dem Verbot eines Wortes, dann einer Zeile, dann eines Gedichtes und schließlich eines ganzen Buches. Das Ende war die völlige Eliminierung meines Namens als Schriftstellerin: eine vernichtung der Identität. Das erste Mal geschah dies kurz nach meiner allerersten Veröffentlichung; obwohl ich unter einem Pseudonym geschrieben hatte, entdeckte man schnell, daß die wirkliche Autorin die Tochter eines Pfarrers war, der aus politischen Gründen im Gefängnis saß. Das zweite Verbot kam 1985, nachdem ich vier Gedichte bei einem unabhängigen Verlag hatte drucken lassen, und das dritte mal schließlich dauerte von August 1988 bis zum Dezember 1989; da hatte ich ein Gedicht in einem Kinderbuch veröffentlicht, mit dessen Hauptperson Ceausescu sich persönlich identifiziert hatte (KaterScallion in Der Star meiner Straße, siehe taz vom 30.9.1989, Anm. U.R.).
Ursula Ruston: Wer oder was hat Ihnen in dieser Zeit am meisten geholfen?
In erster Linie mein Mann. Aber auch die Solidarität von Schriftstellern aus dem Ausland, beispielsweise eine von italienischen Schriftstellern unterschriebene Petition, und dann auch Radiosendungen im Radio Freies Europa und der Stimme Amerikas. Da wir keinen Zugang zu ausländischen Zeitungen hatten, waren es vor allem diese Sendungen, die uns zeigten, daß es im Ausland Menschen gab, die uns unterstützten.
Vielleicht mehr als alles andere ermutigte mich die solidarische Stimmung im Land selbst, ein kollektives Dissidententum. Mancher erkannte mich auf der Straße, man legte mir zum Zeichen der Unterstützung Blumen oder andere Geschenke vor die Haustür, meistens anonym, denn man hatte Angst. Im Lichte der Ereignisse nach dem Dezember 1989 denke ich jetzt, daß ich diese Solidarität wahrscheinlich überschätzt habe — aber damals hat mir das viel Kraft gegeben.
Das schlimmste an den zurückliegenden Jahren war, daß jeder Angst hatte. Wirklich und buchstäblich jeder. Das bedeutet, daß du nie wußtest, ob die Person, mit der du sprachst, deine Meinung wirklich teilte oder ob sie nicht von der Securitate war. Ich erhielt mir meine innere Freiheit durch eine sehr bewußte Entscheidung, die ich etwa 1980 fällte: eher eine Entscheidung für mich als Mensch und nicht so sehr als Schriftstellerin. Ich beschloß, einfach immer zu sagen, was ich wirklich denke und lieber das Risiko einzugehen, selber ein Opfer zu werden, als selber ständig womöglich aufrechte Menschen zu verdächtigen. Das machte jede Kommunikation sehr viel offener. Alle kannten mich als eine Frau, die kein Geheimnis aus ihrer Meinung macht und ganz offensichtlich nie mit dem Regime oder der Securitate kollaboriert hat. Die Menschen begegneten mir ehrlicher und vertrauten mir.
Glauben Sie, daß diese Entscheidung auch einen Einfluß auf Ihr Schreiben hatte?
Aber natürlich! In erster Linie hielt es mich davon ab, wahnsinnig zu werden, und dann machte es mich zu einer normalen Schriftstellerin, die relativ frei war von der Versuchung der Selbstzensur. Das war in den letzten zehn oder fünzehn Jahren unter dem Kommunismus die stärkste Form von Zensur, sehr viel schleichender und subtiler als die offizielle Zensur.
Wie würden Sie das Schreiben unter einer so totalen Form von Zensur charakterisieren?
Als Schriftstellerin war ich wirklich vollkommen befreit, freier sogar als vor dem Verbot, ich konnte ununterbrochen kreativ sein. Ich habe in dieser Zeit angefangen, einen Roman zu schreiben, der sicher längst fertig wäre, wenn die Revolution zwei Monate später gekommen wäre. Wenn es in nächster Zeit in Rumänien etwas friedlicher zugeht, werde ich ihn abschließen können.
Natürlich gab es Probleme. Meine Arbeiten waren nicht nur verboten, sondern ich wurde auch 24 Stunden am Tag beschattet. Ich durfte keine Besucher empfangen, mein Telefon wurde abgehört und meine Post geöffnet. Vor meiner Wohnung parkte Tag und Nacht ein Auto und ziemlich regelmäßig kamen Securitate-Leute zu mir ins Haus.
Wie ist das nach dem Dezember 1989 weitergegangen?
Es ist schlimmer als je zuvor, denn die Spielregeln sind nicht mehr klar. Die Männer in dem Auto vor meiner Wohnung, die kannte ich und wußte, daß sie nicht bei mir einbrechen würden, um mich zusammenzuschlagen oder umzubringen. Die Verleumdungen jedoch, die jetzt in den regierungsabhängigen Zeitungen über mich erscheinen, haben ein Klima des Hasses gegen mich geschaffen, das ich nicht mehr ignorieren kann. Das ist eine vollkommen neue Erfahrung für mich, und in diesem Sinne war meine Vorstellung von Solidarität vielleicht falsch. Ich hatte keine Ahnung von diesem Haß, von dieser Bereitschaft zum Haß. Und ich weiß auch nicht, ob das von Einzelnen ist oder organisiert wird. Seit Dezember 1989 habe ich beispielsweise viele Drohbriefe bekommen, einige handgeschrieben, andere als Durchschlag getippte Briefe. Einmal fielen mir beide in die Hand, das Original und die Kopien. Die einzige Erklärung dafür war für mich, daß das Original aus irgendeiner offizielen Quelle stammte, und jemand dafür von dort aus bezahlt wurde, diesen Brief an mich zu schreiben.
Was geschah in der ofiziellen Presse um den 13./15.Juni herum, als Bergleute die Demonstrationen gegen die Regierung auf dem Universitätsplatz zerschlugen?
Dieser Haß ist in erster Linie von der regierungstreuen Presse entzündet worden. Liiceanu, dem Direktor des unabhängigen Verlags Humanitas, und mir wurde sogar vorgeworfen, daß wir diese Gewalt, die schließlich von der Regierung selbst ausgegangen war, organisiert hätten. Jedesmal, wenn Sündenböcke gebraucht werden, fallen unsere Namen. Als die Bergarbeiter in den Straßen Bukarests erschienen, war ich gerade im Ausland, erst als ich zurückkam, äußerte ich mich dazu in einem Interview mit der Zeitung 'Expres‘. Daraufhin erschien in 'Adevarul‘ ein Artikel, der fast einer Morddrohung gleichkam. Dort hieß es, daß es gut und natürlich war, was die Bergleute gemacht haben, da sie die gesunden Zellen im kranken Körper des Landes repräsentierten, während die Intellektuellen die Krebszellen seien, deren Eliminierung eine gesunde Reaktion sei. Das war eine kaum verhüllte Morddrohung.
Warf man Ihnen konkrete Vergehen vor?
Ja, man warf mir vor, ich hätte an Demonstrationen teilgenommen — was auch stimmte. Ein anderer Vorwurf war, daß ich durch Interviews mit ausländischen Journalisten versuchte, ein schlechtes Bild des Landes zu präsentieren. Tatsache ist, daß sich nicht nur die alten isolationistischen Trends wieder verstärken, sondern daß viele Menschen in Rumänien tatsächlich isoliert sind, und zwar durch den Mangel an Informationen und Nachrichten. Sie sehen nur das von der Regierung gesteuerte Fernsehen und bekommen keine ausländischen Zeitungen. Auf diese Weise wird Wissen durch Gerüchte ersetzt. Und das ist schrecklich, weil gerade diese Gerüchte sich hartnäckig in den Köpfen der Menschen festsetzen. Die alten Unterdrückungsstrukturen, die das Denken der Menschen früher kontrolliert haben, werden jetzt ersetzt durch diese Gerüchte, die einem offenbar in einer so vollkommen unsicheren Situation ein Gefühl der Sicherheit geben. In Rumänien kann man heute sicher sein, daß man es mit einem Gerücht zu tun hat, sobald einer sagt: „Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.“
Inzwischen ist es wieder für jedermann sichtbar geworden, daß die Isolation Rumäniens, die durch das Ceausescu-Regime entstand, sich fortsetzt — besonders nach den Ereignissen im Juni 1990. Früher schien die politische Situation starr und unbeweglich wie ein Eisberg, das Böse war greifbar. Jetzt, wo sich alles bewegt und der Eisberg ins Schmelzen gekommen ist, sehen wir, wie furchtbar dunkel und schmutzig das Wasser ist, das in ihm gefroren war. Meine einzige Hoffnung ist, daß es nicht wieder zu einer so vollständigen Isolation kommt. Eben weil dieser Zustand jetzt so chaotisch und unsicher ist, gibt es noch genug Optimismus; man hofft, daß dies nicht ewig so weiter geht wie unter Ceausescu.
Auf welche Weise hat die veränderte Atmosphäre seit dem Dezember 1990 Ihre Situation als Schriftstellerin verändert?
Das kann ich am besten durch eine Geschichte erklären, die Geschichte eines Buches. Dieses Buch kam nach zwei Jahren Wartezeit, in der es verboten war, 1990 schließlich heraus. Vor der Veröffentlichung fragte mich der Verleger, ob ich vorher noch Veränderungen machen wollte. Tatsächlich hatte ich das Gefühl, daß die Texte durch die Ereignisse überholt waren; alles war darin so düster, und ich fürchtete, die Menschen würden sich darin nicht mehr wiedererkennen. Also schrieb ich ein Vorwort, etwa in dem Tenor: Obwohl die hier beschriebenen Erlebnisse nicht mehr aktuell seien, hoffte ich doch, daß die Texte selbst von ausreichender literarischer Qualität seien, und das Buch daher als Dokument seiner Zeit überleben könne. Nach zweieinhalb Monaten kamen die Druckfahnen bei mir an, und inzwischen hatte sich wieder so viel verändert, daß die in den Texten behandelten Begebenheiten wieder gültig geworden waren, sozusagen zeitlos. jetzt erschien das Vorwort veraltet. Ich hatte die Wahl, entweder das Vorwort ganz herauszunehmen oder es mit einem Datum zu versehen. Ich beschloß, ein Datum darunter zu setzen, den 28.Dezember 1989. Dadurch sollten die Leser sich erinnern können an den Zeitpunkt, als wir alle noch ganz aufgeregt und naiv geglaubt hatten, daß sich wirklich etwas ändern würde.
Als dann das Buch herauskam, gab ich im rumänischen Fernsehen ein Interview, in dem ich genau diese Geschichte erzählte. Das Interview wurde zensiert. Herausgeschnitten wurden genau die Sätze, in denen ich darüber sprach, wie glücklich wir im Moment der „Revolution“ gewesen seien. Sofort danach protestierte ich in einem in 'Romania Literara‘ veröffentlichten Brief gegen diese Zensur. Wie Sie sehen, hat sich der Kreis am Ende wieder geschlossen.
Die Zeitungen sind seit dem Dezember 1989 wirklich sehr offen und mutig geworden, und besonders die jüngeren Mitarbeiter bei 'Romania Libera‘, 'Guverntul‘, 'Contrapunct‘ und 'Romania Literara‘ schreiben über alle möglichen Sachen. Man kann heutzutage zwischen Zeitungen wählen, in denen man publiziert, insofern gibt es keine Zensur, außer im Fernsehen, das weiterhin staatlich kontrolliert ist. In der Vergangenheit war es so, daß man in keinem Fall für eine Zeitung schrieb, die die Politik der Regierung repräsentierte.
Und dennoch ist nur wenige neue oder früher verbotene Literatur seit Dezemeber 1989 veröffentlicht worden.
Das Problem ist für Presse und Buchverlage gleichermaßen nicht mehr die Zensur, sondern der Mangel an Papier, der allerdings als Zensur funktioniert. Da nur wenig Papier da ist, kann man sich ja vorstellen, daß das meiste an die Regierungspresse geht und für die Opposition und unabhängige Publizistik wenig bleibt.
Ist dieses Problem von der Regierung für ihre eigenen politischen Ziele so organisiert worden?
In erster Linie ist da die Tatsache, daß die Papierfabriken, wie fast alle anderen Fabriken in Rumänien, nicht mehr arbeiten — entweder wegen Rohstoffmangels oder weil sie um höhere Löhne streiken. Da aber die „Front zur Nationalen Rettung“ das zentralisierte Regierungssystem geerbt hat, hat es sowohl die Macht als auch die Verantwortung, das wenige Papier gerecht zu verteilen. Auch Ceausescu hat sich nie für den Mangel an Freiheit in Rumänien verantwortlich gefühlt — auch hier gibt es Ähnlichkeiten zwischen seiner und der jetzigen Regierung. Alle oppositionellen Zeitungen haben das gleiche Problem, sich nämlich von Woche zu Woche sorgen zu müssen, ob sie aufgrund des Papiermangels überhaupt erscheinen können. Durch Korruption wird das Problem noch verschärft, denn es gibt Leute, die heimlich Papiervorräte horten, um sicherzugehen, daß ihre eigenen Publikationen weiter erscheinen können.Ursula Ruston
Die 'Index‘-Mitarbeiterin Ursula Ruston sprach im Oktober 1990 in London mit Ana Blandiana anläßlich ihrer ersten englischsprachigen Lyrikveröffentlichung (The Hour of Sand, Anvil Press; 13 Gedichte von ihr waren bereits 1986 in einer Anthologie rumänischer Dichterinnen in England erschienen: Silent Voices, Forest Books).
Auf Deutsch ist der Prosaband Kopie eines Alptraums von Ana Blandiana 1990 im Steidl Verlag, Göttingen, erschienen; ebenfalls zwei Bände des rumänischen Schriftstellers Norman Manea.
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