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Empfängnishilfe

■ F.M. Einheit: »Stein« (Our Choice/Rough Trade) BERLINERPLATTENTIPS

Eine Vermutung vorweg: Wie alle großen Rockbands sind auch dieNeubauten in die Jahre gekommen. Wie von allen gescheiterten revoltierenden Bürgern behauptet wird, scheinen auch sie der Straße nach dem Scheitern den Rücken zu kehren und in die Kultur zu flüchten. Bestärkt wird der Verdacht von der Biographie. F.M. Einheit, als schlagzeugender Stützpfeiler der Bargeldschen Verse weltweit mit Ruhm überhäuft, lebt heute »in Süddeutschland auf dem Land«, wie man sagt, »der Kinder wegen«, in diesem Fall ist es eine Tochter. Dort brütet er über Kompositionen für Ballett und Theater, die er dann mit Hilfe alter Freunde, von Diamanda Galas über Caspar Brötzmann bis hin zu Bargeld himself als einschlägig aufsässig verehrt, im Studio einspielt. Dem Ganzen gibt er einen Namen, der symbolisiert, was seinem musikalischen Werdegang zugrunde lag: Stein, zünftig philosophisch-nominalistisch, wie es sich für einen Künstler ziemt. Oder wie ein Resümee. Wie Bill Wyman von den Stones seine Lebensgeschichte Ein Stein allein nennt, um sich selbst noch einmal vor den Karren zu spannen, der ihn gezogen hat.

Es war ein Irrtum: Weder bestätigt F.M. Einheit die Existenz in Kultur, die sich »Einstürzende Neubauten« nennt, noch setzt er »Einstürzende Neubauten« voraus, um in ihrem Namen mit seiner Platte in Kultur zu sprechen, ein vertrauliches Wort vom passionierten, aber pensionierten Rocker, nun als Künstler. Eine dritte Möglichkeit bewahrheitet sich: F.M. Einheit versucht, in Kultur etwas aus Kultur zu machen, so daß diese von drinnen wieder nach draußen gelangt, von den »Stones« und »Neubauten« im Radio oder Fernsehen zurück auf die Straße. Er bestreitet diesen Weg aus dem Inneren des Fossils aller musischen Betriebe heraus, dem Theater. In den vergangenen vier Jahren hat Einheit mit verschiedenen Schauspielhäusern in Hamburg, Düsseldorf und Kassel zusammengearbeitet und Auftragskompositionen unter anderem zu LessingsNathan und Wedekinds Frühlingserwachen geliefert, die nun gesammelt auf der LP Stein erschienen sind.

Musik als Begleitung oder Untermalung zu Bühnenstücken zu verwenden hatte bereits Brecht an der Oper bemängelt. In diesem Brechtschen Sinn macht auch Einheit Ernst mit der Musik auf dem Theater. Episch legt er den Text durch Tonfiguren aus und steigert ihn nicht, bezieht er über die Musik Stellung zur Handlung, anstatt sie mit Klängen zu illustrieren. Die Toleranz, die Lessing im Nathan von den drei verfeindeten Religionen fordert, löst Einheit in der Verbindung von Techno, House, Rai-Pop ein (Tribute to Cheb Mami). Genau damit verhindert er gleichzeitig die bloße Popularisierung des Theaters durch Aktualisierung, die Rückkehr der Beatmesse in die Kulturarena (mit den »Toten Hosen« in Bonn, den »Neubauten« bei Zadek und Laibach im Schauspielhaus). Das sich ereignende Bühnenstück bleibt in seiner Dramaturgie von der Musik unberührt. Die Rhythmusmaschine pluggert, Synthesizer lärmen dumpf, die Handlung muß sich selbst verwirklichen, ihre eigene Harmonie finden. Doch F.M. Einheit geht noch weiter: Der montone, stumpfe Tanzbeat löscht jegliche Funktion aus, die der Apparat Theater ihm vorschreibt. Er ist ein Aufputschmittel für das Publikum, das er zum Tanz fordert. Damit wird das Wort und die gespielte Geste auf der Bühne übergangen und dem Zuschauer als Hörendem direkt eingelärmt. Auf dem Theater macht F.M. Einheit Musik im Körper des Hörers.

Endlos laufende Grooveschleifen... Die Inszenierung muß sich dagegen entscheiden, reagieren, die Töne übertönen oder ausmachen, um zu Wort zu kommen. Der 'Bonner Generalanzeiger‘ fragte prompt der Aufführung desFrühlingserwachens folgend: »...darf ein klassisches Theaterstück mit sage und schreibe zwölf Minuten Disco-Musik anfangen?« Und mit Brecht könnte man wiederum für F.M. Einheit mit »Ja« antworten, denn mit einer Nutzung des »Apparates« Theater, die solche Musik betreibt, wird die »Abendunterhaltung« (Brecht) des Publikums auf eine Stufe gehoben, wo es tanzend (statt schweigend) genießen könnte. Mit der Musik von Einheit könnten womöglich alle Gäste im Theater anfangen zu tanzen, also wirklich dazulernen.

In anderer Form attackiert F.M. Einheit auch die Themen radikal. Mogadischu, Auszug einer Ballettmusik, handelt vom Deutschen Herbst 1976. An den Radiostimmen von Nachrichtensprechern, den Stimmen Kohls und Schmidts und »der Stimme des Volkes«, die Todesstrafen fordert, vorbei, treibt ein Rhythmus das Geschehen voran, der von »Led Zeppelin« her vertraut ist: Whole Lotta Love, eine kurze Passage aus dem ekstatischen Instrumental-Mittelpart, in den sonst der kreischende Leadgesang einbricht. Hier mischt sich die Autorität in den Tanz ein, deren Kommentare, Forderungen und Befehle der Groove glatt mit Heavy Metal überrollt, mit »der ganzen Liebe«.

Wahrscheinlich ist dies die Stärke, die Einheit auf seiner LP überspielt: durch den Rhythmus das Gefühl zum Zentrum des Gedankens machen. Mit Stein hält er den frühen Dadaismus, deren kindlichen Bruitismus aus Lärm und Lust, wie er das vergangene Jahrzehnt prägte, gegen die Aneignungsversuche des Kulturbetriebes am Leben. Stein ist das Leben in den Städten und anders als auf der Bühne. Harald Fricke

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