: Die tönende Marschflugklampfe
■ Montagsexperten kommen zu Wort HAUPTSTADT GANZ NACKT — FOLGE 4
Für Überraschungen sorgte dieser Tage Edzard Reuter, der Vorstandsvorsitzende von Mercedes, dem bekanntermaßen schlimmsten Konzernfinger unter den Rüstungsherstellern. Von solchen Konzernen hatte man bisher immer angenommen, sie würden jederzeit alle Sorten und Größen von Waffen verkaufen, egal wohin, an wen, wozu, Hauptsache, die Kasse klingelt. Nun kommt Reuter und bringt alles durcheinander, sagt, er würde auch weniger von dem Zeug außer Landes schaffen, könnte er nur, ist ja kein Unmensch, der Mann. Können kann er aber nur, wenn es gesetzliche Begrenzungen gibt, denn ohne jene verkaufe und verkaufe ein Konzern wie der seine gleich einer unkontrollierbaren Maschine ohne Unterlaß von einem Krisengebiet in das andere.
Der Mann hat nicht einmal unrecht, schließlich liegt es in der Natur eines Rüstungskonzerns, Waffen herzustellen, zu verkaufen, zu hoffen, daß sie gebraucht werden, damit neues Gerät geordert wird. Neu ist an dieser Situation nur, daß es der Tiger selbst ist, der nach seinem Dompteur schreit, vielleicht, weil Reuter in der SPD ist, wahrscheinlicher, weil vor aller Leute Augen arme Zebras reißen häßlich aussieht, Vegetarier sein ist da viel netter, der neue Daimler fährt bald mit Sonnenblumenbrot.
Weniger neu ist, daß die angesprochenen Politiker den Tiger in den Tank packen, wenn er es ihnen erlaubt. Zu spät, die Waffen sind schon da, wo sie nicht hätten hin sollen, jedenfalls heute nicht, vor ein paar Jahren sah das noch ganz anders aus. Stellt sich die Frage, wer daran schuld hat. Einfach gestrickte Gemüter ahnen eine Zusammenarbeit von Industriellen, Politikern, Bürokraten und was da sonst noch im militärisch-industriellen Komplex herumlungert, wie auch in den Untersuchungsausschüssen, die dessen Exportgeschäfte zum Thema haben.
Bekannterweise kommt in den Untersuchungsausschüssen immer heraus, daß zwar exportiert wurde, aber niemand schuld hat, und wenn doch, dann immer unbeteiligte Dritte. Der Trick hat sich bewährt, heute heißt es, im Grunde genommen sei die Friedensbewegung schuld, wenn im Irak Giftgas produziert wird: sie hat einfach zuwenig dagegen protestiert. Das wiederum ist neu. Seit wann hört dieser Staat auf seine Kritiker? Seit wann ist aus dem alten Seyfried-Cartoon, in dem ein Haufen Leute zu einem Manager gehen und ihm sagen, sie hätten doch lieber kein Atomkraftwerk vor ihrer Haustür, worauf der Manager weinend antwortet: Dann eben nicht, Wirklichkeit geworden?
Diese Argumentation riecht ganz nach der guten alten Finte der Diebe, die »Haltet den Dieb« schreien. Der besondere Pfiff daran ist, daß die Diebe jetzt auf die Zeugen ihrer Tat zeigen, womit sie zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: den unrechtmäßig angeeigneten Besitz in der Tasche und die Belastungszeugen im Knast.
Zugegeben, solche Taktiken sind steinalt, mäßig einfallsreich und waren zu erwarten. Ebenso solche Sätze wie: »Von einer Handvoll Stasi-Spitzel und DKP-Agenten ließen sie (die Kriegsgegner) sich in all den Jahren des Kalten Krieges an einer unsichtbaren Kette wie Tanzbären dirigieren«. Dieser Satz stammt allerdings nicht von Gauweiler oder Stoltenberg, er kommt aus der Feder von Wolf Biermann, dem Mutlangen-Barden, der sich mit einem Aufsatz in der 'Zeit‘ vom preußischen Friedens-Ikarus zur tönenden Marschflugklampfe emporgearbeitet hat. Darin kommt er zwar auch auf die Idee, daß Krieg als Mittel der Auseinandersetzung zwischen den Staaten heute andere Folgen haben könnte als noch vor fünfzig Jahren. »Vielleicht«, so überlegt Biermann, »weil die Waffen furchtbarer geworden sind und weil das Leben der Menschheit auf dem Spiel steht?« Seine Antwort darauf ist souverän: »Ihr lieben Friedensfreunde, dieses Leben steht sowieso auf dem Spiel, auch ohne Krieg.« Wer so schreibt, denke ich mir, soll auch schießen dürfen. Solange Biermann aber noch nicht an der Front ist, gilt: Biermann-Platten zu Waffen, schließlich ist auch Vinyl aus Öl. Höttges
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