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Berlin friert — und geht aufs Eis

■ Bei klirrender Kälte und strahlendem Sonnenschein freuen sich die Berliner über einen richtigen Winter/ Im Tiergarten schieben Mütter auf Schlittschuhen ihre Kinder über das gefrorene Gewässer/ Sogar der Landwehrkanal ist jetzt vereist

Tiergarten. »Ich bleib' lieber hier sitzen und pass' auf eure Sachen auf«, sagt der Knirps mit den angeschnallten Schlittschuhen, aber es hilft ihm nichts: Mutter und Geschwister packen ihn an den Händen und schleifen ihn aufs Eis, mitten in den Trubel auf dem neuen See im Tiergarten. Dort tummelt sich im gleißenden Sonnenschein trotz vieler, vieler Minusgrade scheinbar halb Berlin: Mütter auf Schlittschuhen schieben ihre Kinderwagen, Halbstarke spielen Eishockey um die Sonntagsfahrer herum, Schulklassen rasen im Rudel, ein paar Habenichtse spazieren mit Straßenschuhen über das Eis, und ein Mädchen hockt mitten auf dem See und bohrt mit einem Holzstückchen ein Loch nach Art der Eskimos. »Seit vier, fünf Jahren«, schätzt ein älterer Mann, sei der See im Tiergarten zum ersten Mal gefroren, und er stehe seitdem erstmals wieder auf Schlittschuhen. Daran müsse er sich erst gewöhnen.

Sprach's und stolperte in angsterregender Weise auf das Eis, mit beiden Armen fuchtelnd. »Los, trau dich doch auch«, sagt ein junger Mann zu seiner Freundin. Aber die sieht, die Schlittschuhe an den Bauch gepreßt, lieber zu, wie er über den See schlittert und auf die Nase fällt. »Da war ein eingefrorener Ast dran schuld, davon gibt es hier zu viele«, stellt er hinterher fest.

Der krachende Winter mit seiner Rekordkälte — minus 14 Grad in der Nacht — hat nicht nur die Gewässer im Tiergarten zentimeterdick zufrieren lassen. Auch der Nikolassee ist zugefroren, nicht jedoch die fließende Havel. Da soll, erzählt ein kleiner Junge, gestern jemand ertrunken sein — vermutlich etwas übertrieben, der Polizeibericht jedenfalls vermeldet nichts. Sogar die Chemiesoße des Landwehrkanals ist halb vereist. Die Durchbruchsspur eines Dampfers ist noch zu erkennen, aber schon überfroren. Auf der Spree treiben dicke Eisschollen. Möwen stehen darauf herum und unterhalten sich über das Wetter. In ihrer Nähe putzt sich ein großer, höckeriger Vogel. Das sei eine Gans, erzählt eine Frau, die in Tiergarten wohnt. »Die ist vor über einem Jahr vielleicht aus dem Zoo entflohen oder hat ihre Herde verlassen, seitdem ist sie ganz alleine hier.« Ab und zu — damit sie sich nicht so einsam fühle — adoptiere sie ein paar Entenküken.

Wir gehen beide zurück in den übervollen Tiergarten, der himmlisch ruhig ist. Dank des Attentats auf »Goldelse« müssen die Autos draußen bleiben (so eine sinnvolle Aktion hätte man den Revolutionären Zellen gar nicht zugetraut). Familien mit Kindern streben in Richtung Zoo, von weitem hört man irgendwelche Urwaldtiere brüllen. Ein großer Collie jagt spielerisch einen kleinen, offensichtlich herzinfarktgefährdeten Dackel über die Wiese, dessen Frauchen böse kreischt, und ein Rollschuhfahrer zischt vorbei, an den empfindlichen Stellen dick gepolstert und mit den schmalen orangefarbenen Rollschuhen bewehrt, die vor einem Jahr in New York extrem angesagt gewesen waren. Nicht mal Fahrradfahrer stören die kalte Idylle. »Wofür war die Maueröffnung eigentlich nötig«, sinniert ein junger Mann hinter uns zu seinem Begleiter, »wenn sowieso alle in den Tiergarten gehen?« esch

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