Oberster Rand des Wahnsinns-betr.: "Opportunistische Friedensbewegung" und ähnliches Gequatsche", taz vom 25.1.91

betr.: „Opportunistische Friedensbewegung“ und ähnliches Gequatsche, taz vom 25.1.91

[...] Irak wird „entwaffnet“ von denen, die ihn bewaffnet haben. Wieviele Tote dürfen's denn sein dabei? Wir haben protestiert gegen die Schweinerei der Waffenexporte, gegen die Schweinerei in Palästina und gegen alle Schweinereien der Welt. Mensch wird nur so schlecht gehört ohne Zugang zu den Medien.

Wenn diese vom „Hitler von Bagdad“ geifern, sollen wir ins gleiche Horn stoßen? Wer hat denn den Überfall auf Kuwait nicht verurteilt? Die Friedensbewegung?

Dieser bisher oberste Rand des Wahnsinns ist nicht irgendein Krieg, deshalb sind jetzt auch die unterwegs, von denen mensch sonst nichts sieht — weil sie Angst haben um das Leben aller Menschen, zuerst natürlich um das jeweils eigene. Es muß doch gerade von den Leuten auf der Straße die maßgebliche Verantwortlichkeit der profitgeilen Geier, die sich jetzt als Hüter der Gerechtigkeit aufspielen, deutlich gemacht werden. Und wir müssen auch deutlich machen (zum Beispiel Herrn Weiss), daß eine Katastrophe, wie dieser Krieg, verhindert werden muß (oder wenigstens gestoppt), weil's nämlich ein bißchen ums nackte Überleben geht. Und in all dem sind wir Gegenöffentlichkeit, müssen also gegen die Kriegspropaganda, die sich auf ihre Zensur verlassen kann, anschreien. [...] Duke Erdmann, Krefeld

[...] Auf den Vorwurf, „die“ Friedensbewegung sei nicht bereits bei der Besetzung Kuwaits auf die Straße gegangen, erklärte Klaus Vack am 25.Januar im SFB, daß er und Freunde am 2.August gegen die Annektion Kuwaits öffentlich protestiert hätten, und am 24.Januar im „Brennpunkt“ hat auch Norbert Greinacher auf diese Frage das gleiche Verhalten für sich reklamiert.

Berücksichtigt werden muß, daß die Intervention am 2.August nicht annähernd die ausführliche Darstellung und Diskussion in der Presse erfahren hat, wie die wochenlangen diplomatischen Bemühungen und der nach dem 15.Januar erfolgte Angriff der alliierten Streitkräfte. Unverständlich ist die erneute Wiedergabe der diffamierenden These von Henryk Broder über die „wunderbare Koalition“ der Friedensbewegung und der Rüstungsindustrie. [...] J.Horstmann, B.Kreutz, West-Berlin

[...] Israels Existenzrecht und Husseins zu verurteilende Gewalt gegen Kuwait und Israel sind wichtige Punkte, die auf jeder Demo ihren Platz haben. Aber daneben gibt es andere Aspekte wie die legale und illegale Aufrüstung, machtpolitische Interessen der USA, die Palästinenser- Frage etc. Die Auseinandersetzung der Friedensbewegung ist eben nicht nur punktuell, wie es die Bundesregierung praktiziert, sondern umfaßt ein komplexes Feld.

Konrad Weiss bezeichnet den Golfkrieg als „Zwangsabrüstung“ Iraks, vorher stand die gut bezahlte Aufrüstung und danach steht die lukrative Wiederaufrüstung, denn bald sind ja die Lager wieder leer. Da freuen sich jetzt schon manche über die guten Öldollars. Ralf Schönmann, Göttingen

[...] Die linke Kritik am Pazifismus macht es sich ausgesprochen einfach: Wer gegen den Einmarsch des Iraks nicht protestiert hat, der sei fürderhin still. Solche Argumentationsmuster haben wir uns doch jahrelang anhören müssen, wogegen auch immer wir protestiert haben.

Aus dem Blickfeld gerät in dem Artikel, daß vor allem die USA und Großbritannien sich auf dem Feuer des internationalen Konflikts ihr Süppchen als Weltpolizisten kochen. Eine „Zwangsabrüstung“ des Irak durch die Alliierten zu begrüßen ist aber ungefähr so sinnvoll, wie die Förderung alternativer Energiequellen durch das Abfackeln kuwaitischer Ölfelder. [...] Warum fällt die taz jetzt hinter die lange Zeit unumstrittene Erkenntnis zurück, daß Krieg als Instrument der Politik heute nicht mehr handhabbar ist? Jetzt, da er begonnen ist, warum sollte ausgerechnet die Friedensbewegung den Ausweg wissen? [...] Michael Dutschke, Hamburg

[...] Die Prüfungsverhandlungen für Kriegsdienstverweigerer in den sechziger und siebziger Jahren waren geprägt von Fangfragen, die darauf hinausliefen, daß der Verweigerer das Leben eines Menschen (zum Beispiel eines Gewalttäters) geringer bewerten sollte als das anderer Menschen. Diese infame Fragerei wurde von allen Linken zu recht angegriffen. Kriegen wir jetzt eine neue, linke Gewissensinquistion der Art: „Du mußt doch zugeben, daß uns Deutschen das Leben israelischer Frauen und Kinder mehr am Herzen liegen muß als das irakischer?“ — Wir müssen wieder einmal daran denken, daß es auf manche Fragen keine richtigen, sondern nur falsche Antworten gibt. Ute Finckh, Minden

Ja, wir in der Friedensbewegung haben versagt. Wir hätten die Produktion von Giftgas und allen Massenvernichtungswaffen verhindern müssen. Das haben wir nicht geschafft. Und jetzt sind wir zu spät auf den Straßen und protestieren gegen einen Krieg, der nun ein gerechter sein soll. Wir sind zu spät, waren zu wenige, waren zu bequem. Das ist unser Versagen.

Dies Eingeständnis müssen wir uns aber selber machen. Niemand darf uns das vorwerfen, der die Rüstungsproduktion gebilligt hat, niemand, der sie mitfinanziert hat, niemand, der sie im Interesse technischen Fortschritts entwickelt hat, niemand, der daran verdient hat und heute noch verdient.

[...] Wer ist heute auf der Straße? Das sind Schüler und Kinder, die gegen das Grauen der Vernichtung von Mensch und Natur demonstrieren. Das sind wieder all jene Menschen, die sich schon immer gegen die Produktion von Massenvernichtungsmitteln gewendet haben. Und es sind auch jene Menschen, die am 9.November in Gottesdiensten und Mahnwachen der Opfer der Judenverfolgung und der „Reichspogromnacht“ gedachten. Auf der Straße sind die Menschen vieler pazifistischer Vereinigungen wie Pax Christi, Ohne Rüstung leben, BOA und viele andere mehr. Immer noch folgen sie Gandhi und Martin Luther King in der Gewißheit: „Wenn wir nicht lernen, miteinander zu leben, werden wir miteinander sterben müssen.“ Prof.Marianne Petersen,

Hamburg

Die Diskussion um die Haltung der Friedensbewegung im Golfkrieg — vor allem der Vorwurf der antiisraelischen Parteinahme und die hilflosen Antworten dazu — zeigen einmal mehr, wie sehr sich die Menschen im demokratischen Westen wieder in einer Kopfdebatte verirren. Seichtes Palaver von der Art, Kriege seien heute nicht mehr möglich, daher seien die Kampfhandlungen einzustellen, zeigen, wie geschichtsblind und ahnungslos die meisten sind. Nur wenige haben offenbar eine Vorstellung von den Traditionen, starren Konflikten und politischen Feinheiten, die dem Nahost-Konflikt zu Grunde liegen.

Das unfaßbare Verbrechen des Holocaust am jüdischen Volk, das auch in Jahrhunderten nicht vergessen sein darf, ruft das deutsche Volk auf, gerade jetzt konsequent neben Israel zu stehen.[...] Natürlich hat die Linke immer gegen Rüstungsexporte protestiert, nur interessiert das heute nicht. Wir müssen konsequent zum Ausdruck bringen, daß uns das Überleben des jüdischen Staates wichtiger ist als alles andere. [...]

Bleibt zu sagen, daß es natürlich richtig ist, gegen Krieg als Form der Auseinandersetzung zu demonstrieren, und es ist auch konsequent, neben dem Existenzrecht Israels das gleiche für die Palästinenser zu fordern. Aber die Geschichte zwingt uns heute zu mehr Eindeutigkeit. Christoph Graupner,

Schloßberg