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London: Bisher größte Antikriegsdemo

Mindestens 50.000 Menschen demonstrierten für den Frieden/ 86 Prozent der Briten sind für den Krieg  ■ Aus London Ralf Sotscheck

In London nahmen am Samstag 50.000 bis 60.000 Menschen an der bisher größten britischen Demonstration seit Beginn des Golfkrieges teil. Die Demonstration war von der britischen Anti-Atombewegung CND und dem „Committee to Stop War in the Gulf“ mit Unterstützung zahlreicher politischer, kirchlicher und Friedensgruppen organisiert worden. Aus allen Landesteilen kamen Demonstranten in Charterbussen angereist. Scotland Yard gab ihre Zahl mit lediglich 8.000 bis 20.000 an. Die Demonstration führte vom Ufer der Themse durch das Londoner West End zum Hyde Park Corner, wo eine Kundgebung stattfand.

Einer der Redner war der 28jährige Victor Williams, der Ende Dezember von der britischen Armee desertiert ist. „Was wir heute im Nahen Osten treiben, ist kein Deut besser, als Saddam Husseins Taten“, sagte Williams. „Ich habe die Armee verlassen, weil ich gesehen habe, daß es schiefgehen würde. Ich hatte die Nase voll von Lügen und Heuchelei. Die Politiker auf beiden Seiten sollten für ihre Handlungen zur Verantwortung gezogen werden.“ Williams fügte hinzu, daß viele Soldaten aus seiner Einheit genauso denken würden. Sie hätten jedoch dem Druck ihrer Kollegen nachgegeben. Auf den Vorwurf einiger Journalisten, daß er ein Feigling sei, antwortete Williams: „Für einen Soldaten gehört viel mehr Mut dazu, nicht in den Golfkrieg zu ziehen.“

Bruce Kent, der Vizepräsident von CND, wies die Anschuldigungen zurück, daß er „unseren Jungs am Golf“ in den Rücken falle: „Die bestmögliche Unterstützung, die wir den Mitgliedern unserer bewaffneten Kräfte geben können, ist die Beendigung dieses Krieges.“ Kent wies auf die Unsummen hin, die der Krieg täglich kostet, während gleichzeitig der Gesundheits- und Bildungshaushalt zusammengekürzt wird.

Der linke Labour-Abgeordnete Tony Benn glaubt, daß die Demonstrationen langfristig durchaus Erfolg haben könnten: „Der Vietnamkrieg wurde ja auch wegen der Demonstrationen beendet, und die Berliner Mauer fiel wegen Massendemonstrationen“, sagte Benn.

Michael Randle, einer der Veteranen der Friedensbewegung, berichtete: „Als unsere Gruppe aus Bradford auf dem Weg nach London an einer Raststätte Pause machte, parkte neben uns ein Bus mit Fußballfans aus Leeds, die zu einem Fußballspiel nach London wollten“, sagte Randle gestern zur taz. „Die Fußballfans haben uns bedroht und mit üblen Beschimpfungen überhäuft.“ Randle bedauerte es, daß keine überregionale britische Zeitung eine kritische Haltung gegenüber dem Golfkrieg einnehme. Das trage dazu bei, daß die große Bevölkerungsmehrheit für den Krieg sei.

In Glasgow nahmen am Samstag etwa 5.000 Menschen, darunter der schottische Labour-Abgeordnete George Galloway und Gewerkschaftschef Campbell Christie, an einer Antikriegsdemonstration teil. John Harvey von der kirchlichen Organisation „Iona Community“ sagte am George Square, daß 10 bis 20 Millionen Menschen im Irak und anderen Länder akut vom Hungertod bedroht seien, während „wir Geld in das gähnende Maul unserer Militärmaschine pumpen“.

Laut einer Umfrage der 'Sunday Times‘ haben sich 86 Prozent der Befragten für den Einsatz der alliierten Truppen ausgesprochen. 68 Prozent glauben, daß die Befreiung Kuwaits den Tod britischer Soldaten wert ist.

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