»Kurzsichtig von SEL, nicht in Berlin zu bleiben«

■ Berlins Wirtschaftssenator Norbert Meisner (SPD) zu den Entlassungen bei SEL und weiterem drohendem Arbeitsplatzabbau

taz: Herr Meisner, die IG Metall hat heute erschreckende neue Zahlen über einen weiteren Arbeitsplatzabbau bei verschiedenen Betrieben im Westteil Berlins angekündigt, unter anderem bei AEG, Solex, Video 2000 und Nixdorf. Können Sie diese Befürchtungen bestätigen?

Meisner: Nein. Mir sind konkrete Überlegungen der genannten Firmen oder anderer Firmen nicht bekannt.

Angenommen, die IG Metall behält recht: Was wäre Ihr Kommentar?

Als im vorigen Jahr Kürzungspläne der Bundesregierung für die Berlinförderung bekannt geworden sind, haben wir bereits darauf hingewiesen, daß dies Konsequenzen für die Arbeitsplätze haben kann. Die Industrie- und Handelskammer hat schon im letzten Herbst gewarnt, ein abrupter Wegfall der Berlinförderung könne zu einem Verlust von bis zu 90.000 Arbeitsplätzen führen.

Nun meinen die Gewerkschaften im Fall von SEL, die Kürzung der Berlinförderung werde nur als Vorwand, als »willkommener Steigbügelhalter« benutzt, um Arbeitsplätze abzubauen.

Über die Wortwahl kann man sich streiten. Die Firma SEL selber begründet ihren Schritt ja überhaupt nicht mit der Kürzung der Berlinförderung. Ähnlich wie die Gewerkschaften kann ich nur vermuten, daß der Zusammenhang besteht. Im Fall von SEL und ähnlicher Unternehmen dieser Branche holen uns darüber hinaus die Konsequenzen von Entscheidungen der — früheren — Berliner Elektroindustrie ein, die schon vor Jahrzehnten getroffen wurden: Damals haben die Firmen entschieden, ihre Fertigung, ihre Forschungsabteilungen und Vorstände in das damalige Bundesgebiet zu verlagern. Solche Firmen sehen jetzt nicht mehr die Notwendigkeit, aus übergeordneten Gründen die in Berlin übriggebliebenen Teile der Produktion hier zu belassen.

In letzter Zeit ist uns immer erzählt worden, die Headquarters würden nach Berlin zurückkehren.

Ich denke, daß das der Fall sein wird. Die Entscheidung von Daimler-Benz, mit einem Unternehmensbereich nach Berlin zu kommen, wird da schon ihre Wirkung haben. Viele Firmen wollen allerdings abwarten, ob der Regierungssitz nach Berlin kommt.

Herr Meisner, Sie haben am Donnerstag in einem Brief an den SEL-Chef Zeidler in Stuttgart ein Gespräch angeboten. Bisher haben Sie noch keine Antwort erhalten.

Da werden wir nachfassen.

Bisher werden nicht einmal Ihre Gesprächsangebote angenommen. Ist der Berliner Senat machtlos?

Mit den Instrumenten, die wir als Wirtschaftsverwaltung haben, kann man keinen zwingen, in Berlin zu bleiben. Das muß der unternehmerischen Entscheidung überlassen bleiben. Ich finde es aber kurzsichtig von SEL, nicht in Berlin zu bleiben. Gerade im Bereich der Telekommunikation wird aus den neuen Bundesländern und darüber hinaus auf dem osteuropäischen Markt eine ungeheure Nachfrage entstehen.

Meinen Sie denn, Sie als Politiker könnten das besser beurteilen als der Unternehmer selbst?

Normalerweise sieht der Unternehmer die kurz- und mittelfristigen betriebswirtschaftlichen Daten und hat manchmal den größeren Horizont nicht im Blick. Interview: hmt